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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition)
Autoren: Tom Robbins
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Unterschied?» Spoon und Dirty Sock wunderten sich, dass Can o’ Beans so gut über Samurai Bescheid wusste. «Oh, ich stand mal über einen Monat lang neben einer Schachtel japanischer Reiscracker im Regal», erklärte Can o’ Beans. «Man kann eine Menge lernen, wenn man sich mit Ausländern unterhält.»
    Ah, doch wir eilen unserer Geschichte voraus. Im Moment bleibt bloß festzuhalten, dass Boomer und Ellen Cherry genötigt waren, das Rodeokaff reichlich überstürzt zu verlassen. Eine wilde Meute jagte den Truthahn und verfolgte ihn, von einer Flotte japanischer Kleintransporter getragen, zwanzig Meilen über die Staatsgrenze nach Idaho hinein.
    I & I

Als die Verbindung jäh unterbrochen wurde, zwängte sich Ellen Cherrys Mutter leicht verwirrt und frisch begattet in ihren Morgenrock, goss sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich auf die Glasveranda, um nachzudenken. Wieder einmal war sie bestrebt, herauszukriegen, ob ihre Tochter sich nicht geirrt haben könnte, als sie Boomer Petway heiratete, und ob Verlin und sein Vetter sich nicht auf hinterhältigste Weise in Ellen Cherrys Leben eingemischt hatten, nicht nur in Bezug auf Boomer, sondern ganz allgemein. Patsy hatte nämlich insgeheim ihre eigenen Pläne für Ellen Cherry, und es fuchste sie, dass es Verlin vielleicht doch noch gelingen könnte, sie zu durchkreuzen.
    Wenn sie in New York den Durchbruch als Künstlerin schafft, hat sie das
mir
zu verdanken
, dachte Patsy. Sie öffnete den Morgenmantel ein wenig, sodass die späte Nachmittagssonne sie zwischen den Beinen wärmen konnte, wo sich jetzt eine Lache jener männlichen Flüssigkeit bildete, in der, wie sie gelegentlich argwöhnte, ihre eigene Kunst untergegangen war.
    Als Teenager war Patsy Cheerleader gewesen und hatte vom Tanzen geträumt. Und siehe da, mit fünfzehn wurde sie Grapefruit-Prinzessin von Okaloosa County! Mit siebzehn lernte sie Verlin Charles kennen, einen Luftwaffenpiloten vom Stützpunkt Pensacola, und heiratete ihn. Nach seiner Entlassung nahm Verlin sie mit nach Virginia, wo er seine zivile Karriere als Ingenieur wiederaufnahm. Von nun an tanzte Patsy, wenn Verlin bei der Arbeit war: allein, zu Hause, in niedlichen weißen Go-go-Stiefelchen.
    Ellen Cherry schaute ihr gern dabei zu, doch es war, ehrlich gesagt, nicht Patsys Gehopse, das Ellen Cherry zur Kunst gebracht hatte. Es war die Übelkeit. Und Colonial Pines.
    Zweimal im Jahr fuhr die ganze Familie runter nach Florida, um Patsys Verwandte zu besuchen. Unweigerlich wurde es Ellen Cherry im Wagen schlecht. Um den Brechreiz zu unterdrücken, musste sie im hinteren Teil des Kombis auf dem Rücken liegen und nach oben schauen. Infolgedessen fing sie an, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
    Telefonmasten flogen in einer Wellenlinie vorbei. Sie registrierte zuerst die Beleuchtung der Reklametafeln, dann die Oberkante und schließlich ihre verwischte Botschaft: den sich auflösenden Marlboro-Mann, das in die Länge gezogene Stück Fleischpastete. Mit der Zeit begann sie zu experimentieren. Erfand das sogenannte «Augenspiel». Wenn sie die Augen zusammenkniff und das Blinzeln kontrollierte, brachte sie es fertig, dass Objekt und Hintergrund die Plätze tauschten. Objekt-Hintergrund, Hintergrund-Objekt, es ging hin und her. Sie brachte es sogar so weit, nach Belieben farbenblind zu werden. Meilenweit war die Landschaft ausschließlich rot, wenn sie es wollte.
    «Na, wie geht’s meiner Kleinen?», fragte Verlin vom Fahrersitz. «Musst du mal Pipi?» Häufig gab seine Kleine keine Antwort. Die Kleine war damit beschäftigt, ihren Fokus zu verschieben, um die gewohnten Assoziationseffekte von Objekt und Raum zu dämpfen oder zu verzerren, sie ihrer gewöhnlichen Bedeutung oder symbolischen Funktion zu berauben, damit sie sich in jenen höchst geheimnisvollen Bereich zwischen Hornhaut und Gehirn begaben – nur um dort weiter Faxen mit ihnen machen zu können. Die parallelen Linien der Telegraphenleitungen zeigten unter ihrem dynamischen Blick eine Neigung zum Überlappen, bis sie ihre Verbindung abbrachen und den freien Raum zwischen sich vergrößerten. Das war besonders interessant, wenn man einen Amselschwarm in das optische Experiment integrieren konnte. Zuweilen ruhte ihr Blick auf dem Horizont, doch ohne eine einzelne, besonders hervorstechende Form, einen Wasserturm etwa, zu bevorzugen; stattdessen konzentrierte sie sich auf den Raum um den Turm herum und entdeckte Struktur und Substanz in Bereichen,
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