Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai

Titel: Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Francesco Sorti
Vom Netzwerk:
deutschen Volkes und zuletzt der beflissene Versuch solcher Historiker, die auf der «richtigen» Seite stehen, dies alles zu legitimieren und zu würdigen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sollte dann Georg von Schönerer, der von Hitler geschätzte Denker, mit seiner politischen «Los-von-Rom-Bewegung» die Losungen der elsässischen Humanisten wörtlich nehmen. Nachdem er vorgeschlagen hatte, den Kalender im Jahr 113 v. Chr. beginnen zu lassen, als die Kimbern und Teutonen die Römer in der Schlacht schlugen, und die Monatsnamen wegen ihres römischen Ursprungs durch andere germanischer Herkunft ersetzen ließ, gelang es Schönerer, im Namen der germanischen Identität und als Schmähung der Kirche von Rom mit Unterstützung der deutschen evangelischen Kirche über fünfzehntausend deutsche Katholiken zu überzeugen, en bloc zum Protestantismus überzutreten.
    Doch die lange Welle der Intoleranz reicht weit über die symbolischen Wasserscheiden von Nürnberg und Jalta hinaus. Noch 1962 wird Wimpfeling von Adolf Schmidt in seiner Einführung zu der Ausgabe zweier Schriften von Wimpfeling und Enea Silvio Piccolomini über die Germania als ein «glühender Patriot» bezeichnet, denn «er wies nach, dass Elsass ein deutsches Land sei», und Enea Silvio Piccolomini entgegengesetzt, der aus dem Schulterschluss der italienischen Humanisten ausgetreten war und von Schmidt darum des Renegatentums bezichtigt wird ( Aeneas Silvius, Germania, und Jakob Wimpfeling: «Responso et replicae ad Eneam Silvium» , Köln/Graz 1962, S. 8).

Sechsundvierzig Kapitel, die Geschichte machten
    Tacitus’ Germania stellt nicht nur die Geburtsurkunde der Geschichtsschreibung über Deutschland dar, sondern ist auch der Ausgangspunkt jeder ideologischen und politischen Konzeption, in der die Deutschen eine Zentralstellung einnehmen. Recht besehen, haben die sechsundvierzig Kapitel von Tacitus’ Beschreibung der Germanen wirklich Geschichte gemacht. Wie der Historiker und Altphilologe Luciano Canfora erklärt (La Germania di Tacito da Engels al nazismo , Neapel 1979), hat im Lauf der Jahrhunderte jede Neigung zum Pangermanismus, jeder Versuch, aus deutschem Boden das Zentrum Europas (oder sogar der Welt) zu machen, Anregungen aus der Germania empfangen. Dieser ideologische Wahn, der Hitler als Universalschlüssel diente, um den Krieg und alles, was daraus folgte, zu entfesseln, war weder das Produkt einer plötzlich aufflammenden, kollektiven Lust am Töten, noch verdankte er sich der brennenden Enttäuschung der Deutschen nach Versailles. Er ist das Ergebnis einer seit vielen Jahrhunderten andauernden Propaganda, die einem ganzen Volk heimlich das Gift der Verachtung und des Misstrauens gegenüber allem, was nicht deutsch ist, einflößte. Die Deutschen sollten glauben, dass die Ursprünge Germaniens in der fernen, verschwommenen Vergangenheit der römischen Antike wurzeln. Diese Überzeugung musste Stein für Stein aufgebaut werden, angefangen bei Tacitus, über Wimpfeling und den Idealismus des 19. Jahrhunderts, bis zu den extremen Konsequenzen im Hitlerregime. Die wirkungsmächtige politische Botschaft der Germania rief die Deutschen zur Wiederentdeckung ihrer verlorenen nationalen Identität und zu einer Revanche auf, bei der sie die Rolle frommer, kühner, grobschlächtiger, aber tapferer Krieger spielten. Wie neben Canfora auch D. Mertens klar dargelegt hat ( Die Instrumentalisierung der «Germania» des Tacitus durch die deutschen Humanisten , in: H. Beck (Hrsg.), Zur Geschichte der Gleichung germanisch/deutsch: Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen, Berlin 2004, S. 37-101), hat der Mythos vo n der rassischen Überlegenheit und der volkstümlichen deutschen Kultur seine Wurzeln in der Germania von Tacitus und jenem berühmten Passus, der Salai misstrauisch macht, wo den alten Germanen ein altes, reines Blut und eine von keiner Invasion unterbrochene Herrschaft über ihr Land zuerkannt werden. Das Ganze basiert, wohlgemerkt, auch hier auf Fälschungen von der Art wie dem Betrug des Annius von Viterbo, von dem der elsässische Pfaffe Salai berichtet. In seiner Historia antiqua (1498) veröffentlichte der italienische Humanist Annius ein Fragment des (frei erfundenen) babylonischen Gelehrten Berosus, aus dem hervorgeht, dass der Gott Tuiscon, der bei Tacitus an der Spitze des germanischen Pantheons steht, von Noah abstammt. So kann Annius die Ursprünge der Germanen mit der noch älteren biblischen Geschichte verknüpfen und dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher