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Sagen und Märchen Altindiens

Titel: Sagen und Märchen Altindiens
Autoren: Alois Essigmann
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Vater und Mutter, Gattin, Freund und das Kind in der Wiege dahinschwinden! Durch alle Ewigkeit werden die Tränen der Unglücklichen mich brennen! – Gnade! Du gütiger Vater der Wesen!«
    »Mein Wort ist unabänderlich und ewig!« sprach der Herr: »Tod soll das Leben enden! Doch du wirst vor den Geschöpfen ohne Schuld sein: du liebst sie, du sollst sie befreien! Zorn, Haß und Neid werden ihren Untergang zeitigen, ehe sie in deinen Armen Ruhe finden; die Tränen, die du in meine Hand geweint, will ich als Siechtum über die Erde streuen, so daß die Vergehenden dich als Erlösung ehren: Mögen die Sünder durch ihre Sünden vergehen – du bist die sühnende Gerechtigkeit, die sie, ohne Haß, ohne Liebe, aufnimmt!
    Und Yama, der Herr über das Recht ist, soll auch Herr sein über dich, Tod!«
    So war Tod in die Welt gekommen, auf daß sie sich ewig erneuere!
    Noch einmal drohte allem Atmenden der Untergang, als ein Danawa dem ruhenden Brahma die heilige Lehre Weda stahl, die dem schlafenden Gott über die Lippen quoll.
    Der Erwachte beschloß, eine Flut über die Erde fegen zu lassen und sich eines edlen Menschen zu bedienen, um die entsühnte Welt mit neuen Geschöpfen zu bevölkern:
    An den Ufern der Wirini stand Manu, in strenger Bußübung die Arme zum Himmel erhoben, den Blick in die eilenden Wellen des Flusses versenkt. Da schwamm ein kleines Fischlein auf ihn zu und sprach mit menschlicher Stimme:
    »Sieh! Du büßender Gerechter: Die großen Fische fressen die kleinen, die Starken verdrängen die Schwachen! Ich bin in steter Sorge um mein Leben. Rette mich, edelmütiger Büßer, vor dieser verzehrenden Furcht!«
    Voll Mitleid schöpfte Manu das Fischlein mit der hohlen Hand aus dem Fluß und trug es rasch nach Hause. Dort setzte er es in eine silberne Schüssel, pflegte seinen Schützling voll frommen Eifers und liebte ihn wie einen Sohn.
    Aber das Fischlein wuchs unter der Sorgfalt des Guten gar rasch und hatte bald nicht genug Raum in der Schüssel.
    Auf seine Bitte setzte Manu es in einen großen Weiher: der maß drei Meilen in der Länge und eine in der Breite.
    Doch der Fisch wuchs weiter, und nach einiger Zeit ward ihm auch dieses Wasser zu eng. Wieder bat er seinen gütigen Pfleger, ihn in ein größeres Gewässer zu setzen:
    »Zur Ganga bringe mich, zu des Meeres Gattin! Dort möchte ich mich tummeln, du Lieber! Doch tu', wie du willst – du bist der Herr, denn deiner Güte verdank' ich das Wachstum, du Sündenloser!«
    So brachte Manu den Fisch nach der Ganga, und als ihn auch die Ufer dieses Stromes beengten, trug er ihn nach dem weiten Meer. Dort setzte er den Riesenfisch, der einen himmlischen Wohlgeruch ausströmte, in die lockende Flut.
    Der Fisch aber sprach mit freundlichem Lächeln:
    »Du, Glückseliger, hast mich in treuer Sorge erhalten, so höre meinen Rat und handle danach:
    Bald wird die große Reinigungsflut über die Erde fegen, denn Lebendem und Totem ist die Zeit des Schreckens nahe!
    Baue ein Schiff und besteig' es mit den sieben Heiligen! Und Samen aller Art nimm auf und bewahre ihn wohl! Harre meiner, wenn die Flut dich trägt! An einem Horne sollst du mich erkennen!«
    »Ich will tun, wie du geraten hast!« sprach Manu, und als der Fisch untertauchte, schritt er in den Wald und begann den Schiffbau.
    Und als das Schiff fertig und genau nach des Fisches Rat beladen war, hob sich die Flut über die Erde und Manu glitt auf den Wogen dahin.
    Und als er des wunderbaren Fisches gedachte, kam dieser geschwommen, und Manu sah an seiner Stirne ein großes Horn.
    Daran mußte nun der Büßer sein Schiff binden, und in schneller Fahrt zog es der Fisch über die weite Meeresflut.
    Stürme tobten über das Wasser, daß sie schier Sonne, Mond und Sterne verlöschten! Nur die sieben Heiligen, die mit Manu über das Wasser glitten, erglänzten im reinen Licht ihres sündenlosen Seins. Das Schiff tanzte über die Wellen wie ein liebetrunkenes Weib. Alles Land war versunken, und schier endlos schienen die Wasser.
    Viele Jahre zog der Fisch schweigend das Schiff durch die Nacht!
    Endlich stieß es an den höchsten Gipfel des Himawat, und Manu mußte es auf Geheiß des Fisches dort anbinden; heute noch nennt das indische Volk den Berg »Schiffsbindung«.
    Der geheimnisvolle Fisch aber sprach zu Manu:
    »Ich bin Brahma, das höchste und ewige Wesen!
    Dich habe ich aus der Flut gerettet, auf daß du meine Welt mit neuen Geschöpfen bevölkerst: Bete und schaffe, so wird es dir gelingen!«
    Damit
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