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Sagen und Märchen Altindiens

Titel: Sagen und Märchen Altindiens
Autoren: Alois Essigmann
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in Wasser und wenigen Wurzeln. Zuletzt stand er regungslos, wie eine Säule, im Wald, und Ameisen bauten an ihm ihr Bauwerk empor. Sein Scheitel ward noch überdeckt, nur die blitzenden Augen lugten aus dem Gewirr von Halmen, Nadeln und Sandkörnern.
    Scharjati, der Herrscher des Reiches, kam um diese Zeit mit seinem Töchterlein Sukanja in Tschiawana's Waldeinsamkeit. Ihm folgte ein reisiges Heer und ein Troß von Sklaven und Frauen der Prinzessin.
    Sukanja tollte mit ihren Gespielinnen durch den stillen Einsiedlerwald, und in fröhlichem Haschen und Suchen verlor ihr Gefolge sie aus den Augen. Bald stand sie allein vor Tschiawanas Klause und musterte neugierig das Niegesehene.
    Der büßende Bhrigusohn in seinem Ameisenhaufen sah das holde Mädchen, und in sein altes Herz fiel heiße Liebe und glühende Sehnsucht nach dieser blühenden Jugend.
    Leise rief er Sukanja an, doch die Neugierige hörte oder beachtete den Ruf nicht. Sie sah etwas Funkelndes in dem Ameisenhügel, und während sie spielend darin mit einem langen Dorn herumstocherte, fragte sie harmlos: »Was mag das sein?«
    Da ihr keine Antwort ward, lief sie wieder in den Wald und suchte ihre Gespielinnen. Sie hatte dem büßenden Heiligen die Augen ausgestochen!
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    In seinem Zorn sandte der Blinde eine schwere Seuche über Scharjatis Heer.
    Vergebens forschte der König in seinem Gefolge und bei den Kriegern nach des Übels Ursache; wiederholt fragte er, ob keiner von ihnen den heiligen Bhrigusohn, der hier in der Nähe hause, gekränkt habe. Endlich erzählte Sukanja, wie sie, im Walde spielend, zwei funkelnde Sterne in einem Ameisenbau zerstört habe.
    Böses ahnend, ließ sich Scharjati dorthin führen und fand mitten im Ameisenhaufen den geblendeten Büßer.
    »Verzeih'! Du mächtiger Heiliger!« rief er mit flehend erhobenen Händen. »Verzeih', was dir meines Kindes Unverstand getan hat! Sei gnädig, frommer Einsiedler, und nimm die Strafe von meinem Heer, von meinem Land!«
    »Hochmut und Verachtung für den schmutzigen Greis haben dein Kind verleitet, mich zu blenden. So soll es als Gattin des Verachteten seine Armut teilen, den Geblendeten führen. Dann will ich dir und den Deinen wieder gnädig sein!« sprach der Heilige.
    Schweren Herzens gab Scharjati dem Asketenfürsten die liebe Tochter, doch willig nahm Sukanja die Buße für ihren jugendlichen Übermut auf sich. Freundlich, wie eine liebevolle Tochter, pflegte sie ihren greisen Gatten und ward nicht müde in seiner Wartung.
    Einst zogen die schönen Morgenrotreiter, die Aswinas, die Götterärzte, durch den Wald und sahen die Liebliche, wie sie am Ufer der Narmada das Kochgerät wusch.
    »Wer bist du, schönste Blume des Waldes?« fragten die beiden Jünglinge.
    Da erzählte Sukanja von ihrer Herkunft, von dem schrecklichen Unheil, daß sie in kindischem Unverstand verschuldet hatte, und daß sie jetzt das Weib des geblendeten Büßers sei und ihn voll Reue und kindlicher Liebe pflege.
    »Mir dünkt, du bist zu jung zu diesem traurigen Amt und für die Waldeinsamkeit zu schön!« sprach einer der Jünglinge.
    »Ja, komm mit uns!« sprach der andere. »Komm mit nach der Götterstadt und wähle einen Jungen zum Gatten. Laß dich mit köstlichem Geschmeide schmücken und dir den Weg zu Götterfreuden zeigen!«
    »Ich liebe Tschiawana. denn er ist weise und gut!« erwiderte Sukanja mit leisem Seufzer.
    »Wir sind die Götterärzte! wir wollen den Heiligen gesund und jung machen, dann magst du zwischen ihm und uns beiden wählen!«
    Alle drei traten vor Tschiawana, und die Aswinas wiederholten ihren Vorschlag.
    Der blinde Heilige war's zufrieden, und die Heilkundigen führten ihn in den Fluß, bis allen dreien die Wellen über dem Kopf zusammenschlugen.
    Als sie wieder auftauchten, war Tschiawana ein helläugiger Jüngling geworden: schön wie die Morgenrotreiter und lachend wie der Gatte des leibhaftigen Glückes!
    »Nun wähle!« riefen die Aswinas der staunenden Sukanja zu.
    Da wählte sie mit holdem Erröten ihren Gatten! Neidlos beglückwünschten die Götterärzte das herrliche Paar.
    Tschiawana aber sprach:
    »Ihr habt meinen Augen die Schönheit der Welt, meinem Leib die Lust der Jugend geschenkt! ich will es euch danken: Künftig sollen die Menschen auch euch den köstlichen Somatrank opfern, wie jetzt nur Indra und den höchsten der Götter!«
    Frohen Mutes stiegen die Morgenrotreiter zum Himmel hinan, und das junge Paar trug sein stilles Glück in die Klause.
    Als bald darauf
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