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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums
Autoren: Michael Köhlmeier
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seine Geschichte von Odysseus im Götterhimmel beginnen. Die Götter schauen herab und sehen die Insel Ogygia, und sie sehen dort die schöngelockte Nymphe Kalypso, wie sie den Odysseus festhält, und es ist bereits das zehnte Jahr seiner Irrfahrt.
    Homer beginnt seine Geschichte also kurz bevor sie endet.
    Was für eine Geschichte wird hier eigentlich erzählt? Hollywood-Produzenten fragen gern: »Was ist der Oneliner?« Sie meinen damit, man soll ihnen in einem Satz die Geschichte erzählen.
    Es ist eine Heimkehrergeschichte.
    Es ist eine Abenteuergeschichte.
    Es wird von einem Lügenbold erzählt, der behauptet, durch die Welt zu irren, derweil er in Wahrheit neun von diesen zehn Jahren bei Frauen zugebracht hat. – Das war mehr als eine Zeile.
    Für mich ist die Odyssee in erster Linie eine Liebesgeschichte zwischen zwei Eheleuten, zwischen Odysseus und Penelope.
    Bevor ich weiter berichte, was uns Homer erzählt, will ich erklären, warum ich den letzten Oneliner vorziehe: Die reizende Kalypso hat dem Odysseus versprochen, daß sie ihn unsterblich machen wird, wenn er bei ihr bliebe. Sie werde dafür sorgen, daß er nicht stirbt. Nun kann man sagen, das ist das größte Versprechen, das die Liebe geben kann. Wir wissen zwar nicht, was nach dem Tod ist, vielleicht ist nach dem Tod etwas Wunderbares, dann hat sich das Leben nicht rentiert, dann dürfen wir uns alle auf das Leben nach dem Tod freuen. Kann sein. Wissen tun wir es nicht. Odysseus allerdings war einer, und wir werden es noch hören, der wußte genau, was nach dem Tod ist, denn er war in der Unterwelt gewesen.
    »Vergiß deine Frau«, sagt Kalypso, »bleib bei mir!«
    Odysseus weiß nicht, was mit seiner Penelope ist. Zwanzig Jahre hat er sie nicht gesehen, er weiß nicht, ob sie ihn noch liebt, er weiß nicht, ob er sie noch liebt, er weiß nicht, ob sie überhaupt noch lebt, und er weiß nicht, ob er sie je finden wird. Er weiß nichts. Er weiß gar nichts. Seine Hoffnung auf ein glückliches Wiedersehen hat lächerlich wenig Argumente. Dennoch: für diese lächerlich winzige Hoffnung verzichtet er auf das ewige Leben. Wie der Trojanische Krieg als eine düstere Wolke aus der Vergangenheit über jedem Geschehen in der Odyssee schwebt, so schwingt diese unglaubliche Liebe zu Penelope in jedem Wort des Odysseus mit, lenkt letztlich jede seiner Handlungen, gibt dem Ton der Sehnsucht, der durch die Erzählung klingt, erst die Melodie.
    Zunächst führt uns Homer an der Hand der Pallas Athene nach Ithaka. In Ithaka nämlich ist Telemach inzwischen zwanzig Jahre alt geworden, und er muß zuschauen, wie an die hundert Freier seine Mutter belagern. Denn erstens ist sie eine schöne Frau, und zweitens ist sie sehr reich und mächtig, sie ist die Königin auf Ithaka.
    Jeder der Freier will sie haben, sie sagen ihr: »Warte doch nicht mehr auf deinen Mann. Dein Mann ist seit zwanzig Jahren weg, er wird nicht mehr kommen, er ist tot. Glaub es endlich!«
    Pallas Athene aber sagt zu Telemach: »Telemach, du sollst wissen, daß dein Vater Odysseus lebt, und er wird bald zurückkommen.«
    Telemach glaubt ihr zunächst nicht, aber sie versichert ihm: »Es ist so. Aber du sollst nicht einfach nur auf ihn warten. Du sollst ihm entgegengehen.«
    Unter dem Einfluß der Göttin setzt sich Telemach zum ersten Mal gegen die Freier zur Wehr, er beruft eine Volksversammlung ein und fordert die Schmarotzer auf, den Hof des Odysseus zu verlassen. Dann macht er sich, begleitet von Mentor, seinem Lehrer, auf den Weg, um Erkundigungen über seinen Vater einzuholen.
    Er besucht zunächst Nestor in Pylos, dann Menelaos in Sparta. Beide erzählen ihm alte Kriegsgeschichten. Wo sein Vater ist, wissen sie nicht.
    Wir erfahren nun noch, daß die Freier in Ithaka planen, Telemach zu ermorden, sollte er wieder zurückkommen.
    Damit endet der vierte Gesang der Odyssee. An dieser Stelle verlassen wir Telemach.
    Nun kehrt Homer wieder an den Anfang zurück, zur Nymphe Kalypso und zu Odysseus. Wir – und das macht der raffinierte Aufbau der Odyssee –, wir wissen nun, was zu Hause geschehen ist. Odysseus weiß es nicht. Wir wollen ihm in die Geschichte hinein zurufen: »Odysseus, beeile dich, fahr schnell nach Hause! Wenn du nicht nach Hause kommst, dann wird dir deine Frau weggenommen! Dann wird dir dein Sohn umgebracht!«
    Diese Gefahr schwebt wie das Schwert des Damokles über dem Haupt des Odysseus – ohne daß er davon weiß.
    Die Götter wirken auf die Nymphe Kalypso ein, daß sie
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