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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind
Autoren: Leena Lehtolainen
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Polizeiausbildung übernommen. Man hatte mir angeboten, weiter mitzuarbeiten, aber ich hatte keine Lust, zwischen Göteborg und Espoo zu pendeln. Es war mir schon schwer genug gefallen, wochenweise in Tampere wohnen zu müssen, getrennt von meiner Familie.
    «In gut einer Woche hast du wieder einen ungefährlichen Job», lächelte Anu. «Und nicht mehr so weit zur Arbeit.»
    «Gut, dass du die positiven Seiten siehst. Und obendrein bekomme ich ja nette Kollegen.»
    In den letzten fünf Jahren hatte ich nur befristete Jobs gehabt. Bevor ich bei der internationalen Ausbildung eingesetzt wurde, hatte ich meine Brötchen bei einem Forschungsprojekt des Innenministeriums über Gewalt in der Familie verdient, von wo ich einmal kurzfristig in den Dienst der Espooer Polizei abkommandiert worden war. Nun kehrte ich wieder dauerhaft zur Polizei zurück, deren Organisation im vergangenen Jahr von Grund auf umgestaltet worden war. Im ganzen Land hatte man Polizeibezirke zusammengelegt, und dem Espooer Polizeipräsidium war die Leitung für den ganzen Polizeibezirk West-Uusimaa zugekommen, zu dem auch die Städte Raasepori, Lohja und Vihti gehörten. Der Hauptarchitekt der Reform in Espoo war mein früherer Vorgesetzter Jyrki Taskinen, der die von der Polizeiabteilung des Innenministeriums vorgegebenen Grenzen so weit gedehnt hatte, wie er konnte. Darum gab es bei der Espooer Polizei immer noch ein Gewaltdezernat. Es wurde von meiner Nachfolgerin Anni Kuusimäki geleitet, die jedoch vor gut einem Jahr Drillinge zur Welt gebracht hatte und noch im Mutterschaftsurlaub war. Ihr Vertreter war der fünfzigjährige Markku Ruuskanen, Koivu zufolge ein fairer, wenn auch etwas distanzierter Vorgesetzter.
    Vor anderthalb Jahren hatte Taskinen versucht, mich als Stellvertreterin für Anni zu gewinnen, doch ich hatte abgelehnt. Ich wollte meinen alten Job und all den Stress, der damit verbunden war, nicht mehr. Später hatte Taskinen eine neue Taktik gewählt. Er hatte mich ein paar Wochen nach meiner Rückkehr aus Afghanistan angerufen und ein Treffen im Polizeipräsidium vorgeschlagen.
    «Es würde mich interessieren, etwas über deine Reise zu hören. Mich hätte fast der Schlag getroffen, als ich im Internet gelesen habe, dass auf eure Delegation ein Bombenanschlag verübt wurde. Zum Glück kam bald darauf die Nachricht, dass unter den Opfern keine Finnen waren.»
    Da ich mich immer freute, Jyrki zu sehen, hatte ich seine Einladung zum Kaffee in den Repräsentationsräumen im obersten Stock des Polizeigebäudes gern angenommen. Jeder andere hohe Polizeibeamte hätte zum Kaffee Berliner angeboten, aber Taskinen, der auf gesunde Ernährung achtete, hatte mit Käse und Salat belegte Brote bestellt. Obwohl er schon über fünfzig war, legte er die Marathonstrecke immer noch in dreieinhalb Stunden zurück. Inzwischen lief er allerdings vorwiegend hinter seinen Enkelkindern her. Seine Tochter Silja war mit ihrer Familie aus Kanada zurückgekommen und leitete nun mit ihrem Mann das Training in dem Eiskunstlaufverein, dem auch Taneli angehörte.
    Nach meinem ausführlichen Reisebericht sah Taskinen mich auf eine Weise an, die mir klarmachte, dass er ein Anliegen hatte. Ich nahm mir vor, strikt abzulehnen, egal, was er mir vorschlug.
    «Du bist ja über die Organisationsreform informiert, die bei der Zusammenlegung der Polizeibezirke durchgeführt wurde.»
    «Nicht im Einzelnen.»
    «Wir in Espoo sind im Prinzip für alle Ermittlungen bei Gewaltverbrechen im gesamten Polizeibezirk zuständig. Einfache Fälle werden weiterhin auf örtlicher Ebene bearbeitet, aber die komplizierteren werden an uns weitergeleitet, ebenso die untypischen. Totschlag unter Zechbrüdern und im Familienkreis oder Übergriffe, bei denen es Augenzeugen gibt, kann jeder aufklären. Bei den untypischen Fällen sieht das schon anders aus. Solche, bei denen keine Spuren zu entdecken sind, rassistisch motivierte Gewalttaten, angedrohte Amokläufe an Schulen – du weißt, was ich meine. Für diese Fälle brauchen wir eine eigene Einheit, oder eher eine eigene Zelle mit erfahrenen Ermittlern. Ein Kommissar und zwei Obermeister. Der Kommissar ermittelt auch vor Ort und führt Vernehmungen, falls er – oder sie! – der richtige Typ dafür ist. Es handelt sich keineswegs um einen Schreibtischjob, sondern um klassische Polizeiarbeit. Ich möchte dich als Kommissarin der Einheit für untypische Fälle. Mit Koivu und Puupponen habe ich schon gesprochen. Die beiden haben auch die
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