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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind
Autoren: Leena Lehtolainen
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belästigen, Kallio. Darauf gebe ich dir mein Wort. Bleib am Leben.»
    «Du auch.»
    «Man will mich ins Oberkommando versetzen. Ein Schreibtischjob, bei dem man allenfalls an Langeweile stirbt.»
    Als ich das Handy abschaltete, war es schon nach drei Uhr. Die Feiertage standen an, und ich hatte keinen Bereitschaftsdienst. Ich wollte mir noch rasch meine E-Mails ansehen und dann nach Hause fahren, denn ich hatte Iida versprochen, ihr das Pasha-Rezept meiner Großmutter zu erklären.
    Von der Polizei in Tampere war eine Mail gekommen, als Absenderin war Hauptmeisterin Irma Halli-Rasila vom Dezernat für Wirtschaftskriminalität angegeben. Ich erinnerte mich, den ungewöhnlichen Namen auf der Teilnehmerinnenliste einer Polizistinnentagung gesehen zu haben.
    «Hallo, Kommissarin Kallio. Von euch kam Anfang letzten Monats die Bitte, nach einer jungen Frau namens Ayan Ali Jussuf zu suchen. Wir haben sie nun in unserem Tätigkeitsgebiet gefunden. Wir hatten schon seit längerer Zeit ein Lokal im Verdacht, die Bücher zu fälschen. Die Besitzer sind gebürtige Afghanen und Kurden. In dieser Woche haben wir nun eine Razzia durchgeführt. Ayan Ali Jussuf hat dort nahezu als Sklavin gearbeitet und mit drei anderen Frauen im Hinterzimmer übernachtet. Für ihre Arbeit hat sie neben Unterkunft und Verpflegung monatlich zweihundert Euro bekommen, natürlich schwarz. Sie hat ausgesagt, dass sie am Bahnhof in Tampere angeworben wurde und sich auf die Sache einließ, weil sie nicht wusste, wohin. Wir werden sie in den nächsten Tagen nach Hause schicken. Möchtet ihr in Espoo sie befragen?»
    Ich lehnte dankend ab, bat Halli-Rasila jedoch, Ayan auszurichten, ihre Mutter wisse, dass Heini sie belogen hatte. Dabei fiel mir Miina Saraneva ein. Saß sie immer noch im Mädchenclub, die Augen auf die Tür geheftet, in der Hoffnung, Ayan käme endlich zurück? Bald würde das Warten ein Ende nehmen.
    Wenn es zum Prozess gegen die Besitzer des Restaurants in Tampere kam, würden die Medien sich wieder über Sklavenarbeit und kriminelle Migranten ereifern. Ich konnte die Hasstiraden jetzt schon hören.
    Trotz der frohen Botschaft, dass Ayan lebend gefunden worden war, fühlte ich mich unendlich bedrückt. Es würde mir guttun, die Arbeit für ein paar Tage zu vergessen. Taneli war zu Hause, wir aßen auf die Schnelle etwas, damit er rechtzeitig zum Training kam, denn ein richtiger Eiskunstläufer trainierte auch am Gründonnerstag. Endlich schmolz der Schnee, und die Straßen standen unter Wasser. Tanelis Gummistiefel waren ihm zu klein geworden, er lieh sich meine. Jungenfüße wachsen schnell.
    Erst am Abend, als Taneli schon schlief, fand ich Zeit, die Post durchzusehen. Da entdeckte ich den Brief. Die Marken kamen mir bekannt vor, ganz ähnliche hatte ich auf meine Ansichtskarten aus Afghanistan geklebt. Der Umschlag war doppelt frankiert, enthielt also mehr als nur einen Briefbogen. Ich lieh mir Anttis Brieföffner, schlitzte das Kuvert auf und las den englischsprachigen Brief.
    «Hallo, Maria, Kommissarin Kallio,
    du hast sicher gehört, dass der Wiederaufbau der Polizeischule gute Fortschritte macht. Wir sind dankbar, dass die EU trotz allem Mittel dafür bewilligt hat. Wir haben Tag und Nacht gearbeitet, wir alle, vom Schulleiter bis zu den Polizeianwärtern und dem neuen Küchenpersonal, Fachleute haben wir nur für die Elektroarbeiten gebraucht. Natürlich trauern wir um die Opfer des Anschlags, doch alles, was geschehen ist, hat uns Überlebende enger zusammengeschweißt. Wir wissen, dass unser Land uns braucht. Wir warten sehnsüchtig darauf, dass sich die Lage hier stabilisiert und du es wagst, uns zu besuchen. Es wäre so schön, dich zu sehen. Vielleicht können auch wir noch einmal nach Finnland kommen, um neue Arbeitsmethoden kennenzulernen. Die Simulationsstadt an eurer Polizeischule ist etwas, von dem wir in Afghanistan vorläufig nur träumen können. Unser erstes Ziel ist es, allen neuen Polizeianwärtern das Lesen und ein wenig Englisch beizubringen.
     
    Mit herzlichen Grüßen aus dem Frühling in Afghanistan, wo bereits die ersten Feigenbäume blühen,
    Sayeeda, Uzuri und Muna.»
    Unter dem Briefbogen lag ein Foto vom Wiederaufbau der Polizeischule. Muna hielt einen Hammer in der Hand, Sayeeda und der Rektor schleppten Bretter. Im Hintergrund stand ein Massey-Ferguson-Traktor, an den sich Uzuri lehnte. Alle lächelten.
    Ich sah mir das Bild lange an. Venjamin strich mir maunzend um die Beine, er wollte gestreichelt
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