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Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Titel: Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Michael Robotham
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sie den Eindruck gehabt hätte, ihre sechsjährige Tochter sei alt genug, um auf ihren vierjährigen Bruder aufzupassen. Beiden Kindern geht es übrigens gut. Eine Nachbarin fand sie wie flatternde Hühner zwischen Kekskrümeln und Fäkalien auf dem Teppich.
    Mandy sieht mich aggressiv an, als ob ich persönlich dafür verantwortlich wäre, dass ihre Kinder in Pflege gekommen sind. In den nächsten fünfzig Minuten sprechen wir über ihre Geschichte, und ich höre mir ihre Ausflüchte an. Wir vereinbaren, uns in der nächsten Woche wiederzusehen, und ich übertrage meine Notizen.
    Es ist kurz nach drei. In einer halben Stunde kommt Charlies Zug an, und ich soll sie am Bahnhof treffen. Ich weiß nicht, was wir am Wochenende in Oxford machen wollen. Ich soll einen Vortrag bei einem psychologischen Symposium halten, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass bei dem Wetter irgendjemand kommt, doch sie haben Zugfahrkarten geschickt (Erste Klasse) und mir ein schickes Hotelzimmer gebucht.
    Ich packe meinen Aktenkoffer, nehme die Reisetasche aus dem Schrank und schließe die Praxis ab. Bronwyn ist schon weg und hat nur einen Hauch ihres Parfüms und einen Kaugummi zurückgelassen, der an ihrem Becher klebt.
    An der Paddington Station suche ich unter den Massen, die aus den Waggons des First-Great-Western-Zuges strömen, nach Charlie. Sie gehört zu den Letzten, die aus dem Zug steigen. Sie redet mit einem Jungen, der mit der ganzen Nonchalance eines Ferrari-Fahrers ein Mountainbike neben sich herschiebt. Er trägt einen Duffelcoat und lässt sich Koteletten wachsen.
    Der Junge radelt davon. Charlie steckt sich zwei weiße Ohrhörer in die Ohren. Sie trägt Jeans, einen weiten Pullover und einen Mantel, der von der deutschen Luftwaffe übrig geblieben ist.
    Sie hält mir eine Wange zum Küssen hin und beugt sich vor, um sich umarmen zu lassen.
    »Wer war das?«
    »Bloß ein Junge.«
    »Wo hast du ihn kennengelernt?«
    »Im Zug.«
    »Wie heißt er?«
    »Soll das ein Verhör werden oder was, Dad?«, unterbricht sie mich. »Ich hab mir nämlich keine Notizen gemacht. Hätte ich das tun sollen? Du hättest mich vorwarnen müssen. Ich hätte dir einen kompletten Bericht schreiben können.«
    Den Sarkasmus hat sie von ihrer Mutter geerbt oder vielleicht auch auf der Privatschule gelernt, die mich so viel Geld kostet.
    »Ich wollte bloß Konversation machen.«
    Charlie zuckt die Achseln. »Er heißt Christian, ist achtzehn Jahre alt, kommt aus Bristol und will Arzt werden – Kinderarzt, um genau zu sein –, und er denkt, dass er vielleicht eine Zeitlang in der Dritten Welt arbeiten will, aber er ist nicht mein Typ.«
    »Du hast einen Typ.«
    »Jep.«
    »Darf ich fragen, was dein Typ ist?«
    Sie seufzt, der vielen Erklärungen schon müde. »Kein Mädchen in meinem Alter sollte einen Freund haben, mit dem ihre Eltern einverstanden sind.«
    »Ist das eine Regel?«
    »Jep.«
    Ich nehme ihre Tasche und studiere die Anzeigetafel mit den abfahrenden Zügen. Der Zug nach Oxford geht in vierzig Minuten.
    »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten, von denen ich wissen sollte? Irgendwelche jüngsten Entwicklungen?«
    »Nö.«
    »Wie läuft’s in der Schule?«
    »Gut.«
    »Emma?«
    »Geht’s prima.«
    Ich verhöre sie schon wieder. Charlie ist nicht der redselige Typ. Ihre Grundhaltung ist zu-cool-für-alles.
    Wir kaufen uns Sandwiches in dreieckigen Plastikverpackungen und Getränke in Plastikflaschen. Charlie steckt wieder ihre Ohrhörer in die Ohren. Als wir in den Zug gestiegen sind und uns auf gegenüberliegende Plätze gesetzt haben, kann ich das komprimierte Umba-Umba-Zang hören.
    Sie hat sich die Haare gefärbt, seit ich sie zum letzten Mal gesehen habe, und sich einen ärgerlichen Pony wachsen lassen, der bis über ihre Augen fällt. Ich mache mir Sorgen um sie. Sie runzelt zu oft die Stirn. Offenbar fühlt sie sich aus irgendeinem Grund gedrängt, das Leben zu früh zu verstehen, lange bevor sie die nötigen Voraussetzungen dafür hat.
    Der Zug fährt pünktlich, wir verlassen London, die Räder unter meinen Füßen spielen einen jazzigen Rhythmus. Häuser weichen Feldern, die Landschaft ist zu einem Stillleben gefroren, in der die Rauchfahnen der Schornsteine und die Scheinwerfer der an den Bahnübergängen wartenden Autos die einzigen Lebenszeichen sind.
    Ein Pärchen auf den Plätzen auf der anderen Seite des Mittelgangs küsst sich eng umschlungen. Sie hat ein Bein zwischen seine Schenkel geschoben.
    »Das ist eklig«, sagt
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