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Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Titel: Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Michael Robotham
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Charlie.
    »Sie küssen sich doch nur.«
    »Ich kann das Schmatzen bis hierher hören.«
    »Es ist ein öffentlicher Ort.«
    »Sie sollten sich ein Zimmer nehmen.«
    Ich blicke erneut zu dem Paar und spüre ein Pawlow’sches Zucken der Erregung oder Nostalgie. Das Mädchen ist jung und hübsch. Sie erinnert mich an Julianne in dem Alter. Daran, verliebt sein. Zu irgendjemandem zu gehören.
    Kurz vor Oxford bremst der Zug. Die Räder quietschen in Abständen und kommen dann rüttelnd zum Stehen.
    Charlie presst ihre Hand ans Fenster und beobachtet eine lange Reihe von Männern, die sich gebückt über ein verschneites Feld bewegen, als würden sie unsichtbare Pflüge ziehen.
    »Haben die irgendwas verloren?«
    »Keine Ahnung.«
    Der Zug setzt sich im Schritttempo wieder in Bewegung. Durch das vom Schneeregen verschmierte Fenster sehe ich einen Polizeiwagen, der in einem Feldweg feststeckt. In der Nähe parkt ein schlammbespritzter Landrover an der Böschung. Ein Kreis von Männern, Gestalten in Weiß, errichten ein Zelt am Rand eines Sees. Sie breiten eine Stoffkuppel über das Gestänge, doch der Wind lässt die Zeltplane immer wieder aufflattern, bis Pflöcke in den gefrorenen Boden geschlagen und die Seile gespannt sind.
    Als der Zug vorbeirollt, sehe ich, was sie abschirmen wollen. Erst sieht es aus wie ein weggeworfenes Kleidungsstück oder ein totes Tier, doch dann erkenne ich die menschliche Gestalt, eine Leiche, die unter dem Eis gefangen ist wie ein Insekt in durchsichtigem Bernstein.
    Charlie sieht es auch.
    »War das ein Unfall?«
    »Sieht so aus.«
    »Ist jemand aus dem Zug gefallen?«
    »Ich weiß nicht.«
    Charlie presst ihre Stirn an das Glas.
    »Vielleicht guckst du besser nicht hin«, sagte ich. »Sonst kriegst du noch Albträume.«
    »Ich bin keine sechs mehr.«
    Der Zug nimmt ruckelnd Fahrt auf. Schnee wirbelt wie Konfetti vom Dach. Einen kurzen Augenblick lang ist etwas aus dem Lot geraten, und ich spüre ein wachsendes Unbehagen. Eine Leere ist in der Welt … jemand kommt nicht nach Hause.

Ich bin hier.
    Ich möchte es rufen.
    Schreien
    Ich bin hier.
    ICH BIN HIER.
    ICH BIN HIER!
    Drei Tage. Irgendwas ist schiefgelaufen. Tash sollte längst zurück sein. Vielleicht hat George sie erwischt. Vielleicht hat er sie mit einer Schaufel erschlagen und im Wald vergraben. Damit hat er immer gedroht, falls wir fliehen sollten.
    Vielleicht hat sie sich verirrt. Tash hatte nie einen besonders guten Orientierungssinn. Einmal hat sie es geschafft, sich im Westgate Shopping Centre in Oxford zu verlaufen, wo wir uns bei Apricot treffen wollten, um mein Weihnachtsgeld für einen mit Perlen verzierten Gürtel und eine schwarze pre-washed Jeans auszugeben.
    Das war der Tag, an dem Tash sich mit Bianca Dwyer gestritten und gedroht hat, sie mit einem spitzen Stift zu stechen, weil sie mit Aiden Foster geflirtet hatte. Und sie hätte es auch getan. Tash hat mich einmal mit einem Stift durch meine Strumpfhose gestochen. Ich hab das kleinste Tattoo der Welt als Beweis. Sie war wütend, weil ich den Freundschaftsring verloren hatte, den sie mir zu meinem zwölften Geburtstag geschenkt hat.
    Jedenfalls ist ihr Orientierungssinn eine Katastrophe – beinahe so schlecht wie ihr Geschmack bei Jungs.
    Mir ist unvorstellbar kalt. Ich trage alle meine Kleider – und noch ein paar von Tashs Sachen. Sie hat bestimmt nichts dagegen.
    Ich ziehe die Decke über den Kopf, rieche meinen schalen Atem. Schweiß. Hin und wieder stecke ich den Kopf heraus und schnappe ein paar Atemzüge frische Luft, bevor ich wieder unter die Decke tauche.
    Vielleicht erfriere ich, bevor man mich findet.
    In den ersten paar Wochen war es anders. Da war Sommer, und auf dem Speicher unter den Dachziegeln war es heiß. Wir hatten ein richtiges Bett, anständiges Essen und konnten fernsehen. George hat gesagt, wir dürften bald nach Hause zurückkehren. Er wirkte nicht wie ein Monster. Er hat uns Zeitschriften und Riesentafeln Schokolade gekauft.
    Ich weiß nicht, ob George sein richtiger Name ist. Tash hat damit angefangen. Sie meinte, es würde zu ihm passen, weil er aussehen würde wie eine jüngere, dickere Ausgabe von George Clooney, doch ich finde, wir hätten ihn Freddy nennen sollen wie den Typen aus Nightmare on Elm Street oder diesen anderen Irren mit der Hockeymaske und der Kettensäge.
    Am Anfang sprach George viel von einem Lösegeld.
    »Deine Eltern sind reich«, sagte er zu mir, »aber sie wollen nicht zahlen.«
    »Das ist nicht
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