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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist
Autoren: Uwem Akpan
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Leben auf der Straße noch so billig und entwurzelt war. Ich ging nach draußen, legte mich auf die Reihe leerer Farbeimer, die wir an der Ladenwand aufgereiht hatten, und vergrub mein Gesicht in der Armbeuge.
    Schuldgefühle begannen in mir zu rumoren. Hätte ich mich einer Gang angeschlossen, würde uns Maisha jetzt vielleicht nicht verlassen. Dann bräuchte ich auch kein Geld für die Schule, und womöglich würden sich Maisha und meine Eltern wieder vertragen. Aber meine Wut richtete sich vor allem gegen die musungu , die weißen Männer, denn für meine Schwester waren sie die Gestalt gewordene Versuchung. Ich wünschte mir, ich wäre so mächtig wie Naemas Freund, oder ich könnte ihn für uns anwerben. Dann würden wir den Jaguar verbrennen, die Männer fesseln, sie mächtig verprügeln und ihnen sämtliche Papiere wegnehmen. Wir könnten diese musungu nackt ausziehen, so wie Naemas Freund es mit jemandem gemacht hatte, weil ein Mitglied seiner Gang von ihm verletzt worden war. Zumindest könnten wir den Affen töten und essen oder ihm die mboro abschneiden, damit er von niemandem mehr die Schwester fickte. Ich zog mein Messer aus der Tasche und untersuchte die Klinge. Dass sie ziemlich stumpf war und viele Macken hatte, machte nichts. Ich wusste, wenn ich mit aller Kraft zustieß, würde Blut spritzen.
    Nach einer Weile begannen sich meine Pläne in Nichts auf
zulösen. Mir wurde klar, dass ich Naemas Freund niemals anheuern konnte. Naema selbst würde das verhindern. Schließlich hatte sie Maisha bis zu diesem Abend immer wieder getriezt, doch endlich auszuziehen, und gesagt, wenn sie erst so alt wäre wie Maisha, wäre sie schon längst fort. Und sollten wir den Touristen auch nur ein Haar krümmen, würde die Polizei, selbst wenn ich in den Kibera-Slum floh, sofort herkommen, meine Eltern verhaften und unseren Verschlag abreißen. Sie würden Maishas Koffer mitnehmen und ihre Schätze stehlen.
     
    Baba schreckte auf, als hätte ihn ein lautes Geräusch geweckt.
    »Ist das Maisha?«, fragte er und schloss wieder die Augen.
    »Nein, Maisha arbeitet noch«, sagte Mama. »Meine Maisha ist jetzt die Herrin über Autos und musungu !« Sie gewann ihre gute Laune wieder.
    »Wie? Welche musungu , darling ?«, fragte Baba, setzte sich ruckartig auf und rieb sich mit den Handballen Schlaf und Hunger aus den Augen.
    »Weiße Touristen«, erwiderte Mama.
    »Wie? Die müssen mit Dollars oder Euros bezahlen. Schließlich bin ich das Familienoberhaupt. Ist das klar, Frau?«
    »Ja.«
    »Und sie soll mir nicht auf die Honolulutour kommen. Was für ein Auto haben sie?«
    »Jaguar«, antwortete ich. »Mit Chauffeur. Baba, wir sollten Maisha nicht erlauben, dass sie uns verlässt …«
    »Niemand geht, niemand. Und jetzt halt dein Maul! Du hast meiner Frau weh getan! Kein Laut mehr, bis ich dir morgen die Zähne ausschlage. Kein gar nichts, kapiert? Hast du dich bei den Typen für mich bedankt?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Nein? Verdammt, Jigana, wo sind deine Manieren? Hast du gefragt, wo sie hinfahren? Dir das Kennzeichen gemerkt?«
    »Nein, Baba.«
    »Und wenn sie Maisha mit nach Honolulu nehmen, was dann? Vielleicht sollten wir dich in eine Gang stecken. Hast du denn nicht gelernt, jede Gelegenheit zu nutzen, Junge? Willst du so die Schulgebühren für Januar verplempern? Arme Maisha.«
    Ungläubig musterte er mich aus zusammengekniffenen Augen, während argwöhnische Falten seine mächtige Stirn zerfurchten. Wut ließ seinen Atem schneller gehen, und er stülpte die Lippen vor. Doch an diesem Abend hielt ich stand.
    »Ich will nicht mehr zur Schule, Baba«, sagte ich.
    »Halt's Maul, Feigling. Da gibt's nichts mehr zu reden.«
    »Doch.«
    »Wie ›doch‹? Was soll das heißen? Willst du ein Taschendieb werden, so wie ich, mein Junge? Mein ältester Sohn? Du darfst nicht so nutzlos sein wie die Mädchen. Wallai! «
    »Aber ich will nicht mehr zur Schule.«
    »Dein Verstand ist noch zu jung zum Denken. ›Die ersten Zähne eignen sich nicht zum Kauen‹, heißt es. Und solange du hier wohnst sagt dein Baba, dass du zur Schule gehst.«
    » La hasha .«
    » Niemals? Das sagst du mir? Jigana!« Er sah Mama an. »Er will nicht mehr zur Schule! Heiliger Judas Thaddäus!«
    »Jesus, was hat der Junge bloß für einen Dickkopf«, sagte Mama. »Sagt uns das direkt ins Gesicht. Unverschämtheit!«
    Mit bebenden Händen stand Baba plötzlich auf. Ich hielt mir nicht die Wangen, um mich vor seinen Schlägen, seiner Spucke zu
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