Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist
Autoren: Uwem Akpan
Vom Netzwerk:
die Löcher im Schuldach suppten, sah ich den Lehrer so geschickt die Risse und Flicken auf der Tafel umschreiben, wie sich geübte matatu -Fahrer ihren Weg auf unseren mit Schlaglöchern übersäten Straßen suchen. Dann jagte ich beim Rugby über unser kahles, schiefes Feld einer Apfelsine hinterher, sprang über Abwasserschächte und brach sämtliche Tackles. Ich war schon der älteste Junge in meiner Klasse.
    Mama fasste mich an den Schultern und nahm mir das Kind ab, schälte es aus seinem Plastikstrampler, machte es sauber und legte ihm für die Nacht eine Windel an. Mit einem Kissen, das sie unter der schlafenden Naema fortzog, polsterte sie den Karton zur Wiege aus, legte Baby hinein, zog die vier Ecken straff, schüttelte unser Moskitonetz auf und hängte es darüber. Das Netz war uns von einer NGO geschenkt worden, und Baba hatte noch keine Gelegenheit gehabt, es zu verhökern. Dann wickelte sich Mama um den Karton und schlief ein.
     
    Ich weckte Baba, als Maisha noch vor dem Morgengrauen zurückkam. Er hatte mit den Rosenkranzperlen gespielt und war dabei eingedöst, weshalb sein Kopf immer wieder zur Seite sackte und das Moskitonetz verschob. Mama musste ihn ständig anstupsen oder ihm einen Tritt geben. Dann riss er jedes Mal mit geübtem Lächeln die Augen auf, weil er hoffte, die Jaguarstunde wäre angebrochen. Der Regen versiegte, doch noch verdunkelten Wolken die Nacht. Gierig hatte die Stadt die Fluten in sich aufgesogen, aber nun schwoll ihr die Haut und platzte an einigen Stellen. Verstreut lagen Behelfstische und provisorische Marktstände auf der Straße, fortgerissen und so zertrümmert, als wären sie in eine Prügelei geraten. Überall sah man
Müll: getrockneten Fisch, Schreibwaren, irgendwelchen Tand, verschrumpeltes Gemüse, Plastikteller, Schnitzfiguren und Unterwäsche. Ohne das übliche Gedränge klangen die nur notdürftig erhellten Straßen hohl, verstärkten selbst das kleinste Geräusch. Lang nachdem ein Streifenwagen vorbeigefahren war, konnte man ihn noch hören, wie er Schlaglöcher umkurvte. Die Beamten kassierten ihre Bestechungsgelder – ihr kitu kidogo zu Weihnachten – von all denen, die es sich nicht leisten konnten, über die Feiertage aufs Land in ihre Dörfer zu fahren.
    Maisha kam mit dem Taxi, einem alten Renault 16. Während der Fahrer ausstieg, blieb sie zusammengesunken auf der Rückbank sitzen. Der Fahrer kniete sich hin und nahm eine Zange, um die hintere Tür zu öffnen und meine Schwester herauszulassen. Babas enttäuschte Seufzer waren so laut wie der Muezzin, der anhob, Nairobi zum Gebet zu rufen. Meine Schwester stieg aus und lehnte sich erschöpft an den Wagen. Auf dem Rücksitz lagen Tüten mit Lebensmitteln.
    Mit einer stummen Geste forderte sie Baba auf, sie in Ruhe zu lassen. Er ignorierte sie.
    »Und wo ist denn jetzt unser Jaguar, wo sind die musungu ?«, fragte Baba den Taxifahrer und stierte das schäbige Auto an, als könnte es sich jeden Moment verwandeln.
    »Was für ein Jaguar? Was für musungu ?«, gab der Fahrer zurück, der Maishas Bewegungen genau im Auge behielt.
    »Der nini Jaguar … Wo kommt meine Tochter denn her?«, fragte ihn Baba.
    » Ich kann das nicht beantworten«, erwiderte er und zeigte dabei auf seinen Fahrgast.
    Maisha beugte sich vor den einzig funktionierenden Scheinwerfer, um das Fahrgeld abzuzählen. Ihre Hose saß so eng, dass sie an Oberschenkeln und Taschen Falten warf, weshalb es Maisha nicht leicht fiel, die Scheine herauszufischen, ohne sich ihre künstlichen Fingernägel abzubrechen, die sich wie Klauen
einwärts bogen. Gestern hatte ihr kurz geschnittenes Haar nach frisch gelegter Dauerwelle golden ausgesehen, wellig und luftig. Jetzt stand es an einigen Stellen ab, an anderen lag es so dicht an, dass ihre von Chemikalien aufgeraute Kopfhaut durchschimmerte. Abbröselnder Gesichtspuder ließ sich kaum von aufgerauter Haut unterscheiden. Um einem Ausbruch von Pubertätspickeln zuvorzukommen, hatte sie sich das Gesicht ungleichmäßig gebleicht. Ihre Lider und die Haut unter den Augen reagierten am schlimmsten auf die diversen Cremes, und ihre Müdigkeit sammelte sich heute Abend an den entzündeten Stellen und ließ die Augen anschwellen.
    Der Fahrer hatte Mühe, das Fenster hochzukurbeln, und schützte mit einem Arm die Lebensmitteltüten, sein Pfand für alle Fälle. Baba zückte einen fünfzehn Zentimeter langen Nagel und hielt ihn an die abgefahrenen Reifen. »Was für dawa hast du meiner Tochter gegeben? Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher