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Saftschubse - Lies, A: Saftschubse

Saftschubse - Lies, A: Saftschubse

Titel: Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
Autoren: Annette Lies
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flachen Schuhe, die ich mir auf den Schreck hin zweifelsohne verdient hatte. Hohe Schuhe werde ich wohl vorerst nicht mehr brauchen.
    Irritiert durch den ungewohnten Anblick meiner Füße schiebe ich sie schnell wieder unter den rustikalen Esstisch (ein übrig gebliebenes Sonderangebot von Ikea Eching, nachdem ich alle anderen Interessenten, die mich beim Kauf wie immer mit dem Personal verwechselt und nach der Beschaffenheit der Spanpressplatte gefragt hatten, nach Brunnthal in die andere Filiale umgeleitet hatte. Diesen Tisch hat nun meine Schwester ergattert).
    Vor mir liegt ein richtiger kleiner Stapel Papier mit Rezepten, meinem Langzeitkrankenschein mit Durchschlägen für Mitarbeiter, Krankenkasse und Arbeitgeber und einem Extra-Brief an Dr. Eckert, mit meiner unglamourösen Diagnose: Morbus Basedow/Schwere Hyperthyreose mit kardialer Beteiligung, beginnende endokrine Orbitopathie.
    »Das sagst du nur, weil du der Typ bist für Fünf-Jahres-Mietverträge und Frühbuchertarife nach Teneriffa!«, bricht es giftig aus mir heraus.
    »Nein, das sage ich, weil ich nicht der Typ für komplizierte Stoffwechselerkrankungen bin!« Verärgert steht meine Schwester auf und wirft den Wasserkocher an.
    »Du wolltest doch von Anfang an nicht, dass ich fliege!«, maule ich weiter.
    » Ich wollte nur nicht, dass du vom Regen in die Traufe kommst! Als du endlich diesen Workaholic-Job als Werbetexterin hinter dir gelassen hast, dachte ich, du nutzt die Chance und suchst dir etwas, das einen geregelten Lebensstil zulässt – was wiederum gesundheitsfördernd gewesen wäre!«
    Das ist ja wohl so ziemlich das Schlimmste, was ich je von einem Familienmitglied gehört habe.
    »Ich will keinen geregelten Lebensstil!«, fauche ich trotzig und bin nahe daran, mich an ihrem neuen Heiligtum, einem Ordner mit Rezepten für herbstliche Aufläufe, Ess-Kastanien-Deko und winterlichen Pompon-Tieren zu vergehen.
    »Ich weiß«, kontert sie jetzt wieder seelenruhig. »Und vermutlich deswegen hast du nun eine Krankheit, die nicht einmal Leute mit bestandenem TOEFL-Test aussprechen können!« Sie öffnet die gelbliche Glasfront des Hängeschrankes über der Spüle und schaut mich an. »Möchtest du die Cats -Tasse oder die mit den Schlümpfen?« Dass man sie nicht ärgern kann, ärgert mich wie immer am meisten.
    »Garfield«, zische ich divenhaft. Auch diese Relikte unserer Kindheit sind also in ihrem Schrank gelandet und nicht in meinem.
    Immerhin hatten wir noch vor einer Stunde zusammen friedlich und gleichermaßen nervös die zwei kleinen Zeilen mit der Diagnose auf meiner Überweisung zur Szintigrafie gegoogelt und erleichtert festgestellt, dass ich im Wesentlichen eine starke Überfunktion der Schilddrüse habe, die zu starken Hitzewallungen, Wärme- und Stressintoleranz, Gewichtsverlust trotz Heißhunger und unansehnlichen Glubschaugen führt – und zu Schüben unkontrollierter Aggression, da mein Hormonspiegel dem eines männlichen Teenagers entspricht.
    Woraufhin meine Schwester schon zu Beginn unseres Disputs geduldig zu mir meinte: »Das bist nicht du, das ist die Krankheit, die aus dir spricht«, was mich fast noch mehr aufgeregt hat als die Diagnose selbst. Immerhin eine Krankheit, die Julian damals nicht in seinem Rate-Repertoire hatte.
    Man solle es ruhiger angehen lassen, wenn man eine Chance auf vollständige Heilung haben wolle, meint Wikipedia. Wobei ich nicht weiß, wie ich es noch ruhiger angehen lassen könnte, als im Irak an einem Pool zu liegen.
    »Charlotte, du kannst doch nicht immer wieder etwas Neues anfangen, wenn eine Sache nicht so ist, wie du sie dir erträumt hast – wenn wir schon mal dabei sind«, stellt meine Schwester Domian-mäßig fest und trocknet das alte Senfglas mit dem Comic-Kater ab.
    Frustriert lehne ich mich in der biederen Sitzecke im Gelsenkirchner Barockstil zurück. Noch immer hallen Dr. Renners Worte in meinen Ohren: Fliegen können Sie nicht mehr.
    Ich hatte noch vor der Praxis stehend Dr. Eckert angerufen und ihm meine Misere erklärt. Und er hatte mir erklärt, dass mich die Sache sicher für einige Monate lahmlegen würde, ich aber aus seiner Sicht eines Tages sehr wahrscheinlich wieder fliegen könne. Danach war es mir gleich bessergegangen.
    Trotzdem überlegte ich im Minutentakt jetzt laut, was im schlimmsten Fall die Alternative wäre, und versuchte, mir aus lauter Angst vor einer eventuell doch drohenden kompletten Fluguntauglichkeit einzureden, dass ich Hunderte von Optionen hätte
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