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Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Titel: Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Autoren: Waris Dirie
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Vizepräsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Kommissare und Abgeordnete«, begann ich meine Rede vor den gut hundert Experten und interessierten Zuhörern.
    Alle Augen waren auf mich gerichtet. Die Anwesenden erwarteten von mir offenbar Worte des Lobes und der Dankbarkeit dafür, dass sie diese Konferenz einberufen hatten.
    »Hier, in diesem Gebäude, habe ich im Januar des Jahres 2006 vor dem Ministerrat die Resultate einer zweijährigen Recherche präsentiert, die ich mit meiner Desert Flower Foundation ohne jegliche Unterstützung durch öffentliche Gelder selbst finanziert habe. Ich habe damals nicht nur mein Manifest, sondern auch einen umfassenden Maßnahmenkatalog für alle Regierungen vorgestellt. Darin ist detailliert aufgeschlüsselt, wie man weibliche Genitalverstümmelung effizient bekämpfen und den Opfern respektvoll helfen könnte. Alle Minister und EU -Kommissare haben damals beeindruckt applaudiert und mir versprochen, diese Forderungen in die Tat umzusetzen. Und was ist seither geschehen?« Meine Stimme wurde lauter und eindringlicher. »Nichts!«
    Ich blickte mich um. Betretenes Schweigen im Saal.
    »Nun haben Sie mich erneut hierher eingeladen, um zu erörtern, welche Maßnahmen die EU und die europäischen Regierungen gegen FGM ergreifen können. Als ob alles, worüber wir damals verhandelt haben, inzwischen in Vergessenheit geraten wäre. Besagtes Manifest sowie sämtliche Forderungen meinerseits, die Sie jederzeit auch auf der Website meiner Foundation nachlesen können, habe ich daher noch einmal für Sie zusammengestellt. Ich möchte Sie noch einmal eindringlich darum bitten, sich diese sorgfältig durchzulesen und die Maßnahmen endlich umzusetzen!«
    Demonstrativ hielt ich meine Unterlagen über den Kopf, damit sie auch in den hinteren Reihen zu sehen waren.
    »Meine Damen und Herren, Sie alle«, ich deutete mit dem Zeigefinger auf die Reihen im Saal, »jeder Einzelne von Ihnen hat es in der Hand! Kinderärzte, Gynäkologen, Hebammen, Lehrer, Asylbetreuer, Sozialarbeiter, Jugendämter, die Polizei, die Staatsanwälte und die Richter in ganz Europa müssen informiert und geschult werden. Nur so können wir alle gemeinsam diesem Verbrechen ein für alle Mal ein Ende setzen. Die von mir vorgeschlagenen Maßnahmen sind ebenso einfach wie wirkungsvoll. Dennoch haben Sie bisher nichts unternommen … Warum? Wollen Sie diese unschuldigen Mädchen denn nicht schützen? Wollen Sie den Opfern wirklich nicht helfen?«
    Die Stille im Raum war beklemmend und befreiend zugleich. Endlich hatte ich all das ausgesprochen, was mir seit Jahren das Herz schwer machte. Endlich hörte man mir richtig zu. Ich nutzte die Gunst der Stunde und redete weiter.
    »Warum halten Sie immer neue Konferenzen ab, wenn Sie am Ende doch nichts unternehmen? Sie tun das hier nicht nur für Ihre Wiederwahl, sondern für Mädchen wie jenes, das Sie soeben in dem gezeigten Film gesehen haben. Safas Familie stammt ursprünglich aus Somalia, genau wie ich. Ihr Schicksal schien ihr vorherbestimmt. Doch dann hat sie die Rolle in meinem Film bekommen, und ihr Leben hat sich verändert. Die Filmrolle hat Safa vor der von ihren Eltern längst geplanten Genitalverstümmelung bewahrt. Heute ist sie sieben Jahre alt, geht regelmäßig zur Schule und hat dadurch die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Doch eine Safa ist zu wenig, wir brauchen Millionen Safas – und diese werden wir nur mit Ihrer Hilfe retten können. Nur mit Ihrer Hilfe können wir diesen unschuldigen Mädchen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Ich bitte Sie daher inständig, endlich etwas zu unternehmen. Für Safa und Millionen andere kleine Mädchen in Afrika, Asien und Europa, denen bisher niemand hilft. Das ist Ihre Aufgabe als Politiker. Dafür haben die Menschen Sie gewählt. Bitte machen Sie endlich Ihren Job! Danke.«
    Das saß.
    Für ein paar Sekunden herrschte betretenes Schweigen, dann fingen einige wenige Abgeordnete gequält an zu applaudieren. Die für die Planung und Organisation der Konferenz verantwortlichen EU -Beamten hingegen starrten beharrlich auf ihre Präsentationsunterlagen, die vor ihnen auf dem Tisch lagen. Betulich eilte Viviane Reding auf die Bühne und drängte mich vom Rednerpult.
    »Vielen Dank für die hilfreichen Ausführungen, liebe Waris«, sagte die Vizepräsidentin betont höflich. »Und nun dürfen auch die anderen Nichtregierungsorganisationen ihre Vorschläge unterbreiten …«
     
    »Gut gemacht, Waris!«
    Auf
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