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Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Titel: Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Autoren: Waris Dirie
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Mutilation oder kurz FGM , wie es im internationalen Sprachgebrauch heißt, zu meiner engsten Vertrauten und treuesten Freundin geworden.
    Niemand wusste besser als sie, was die Bilder der Beschneidungsszene mit mir machten. Mit welcher Kraft das Trauma des Erlebten immer noch in mir wütete. Dutzende Male hatte ich
Wüstenblume
inzwischen bei Premieren und Präsentationen in der ganzen Welt gesehen, ich hatte sogar bei der Entstehung des Films mitgewirkt und mich explizit dafür ausgesprochen, den Akt der Genitalverstümmelung möglichst drastisch zu gestalten. Dabei sind die wahre Grausamkeit und Brutalität, die jährlich rund drei Millionen Mädchen weltweit widerfahren, wenn ihnen die Klitoris sowie die inneren und äußeren Schamlippen mit einer schmutzigen Rasierklinge bei vollem Bewusstsein förmlich abgemetzelt und dann die blutigen Stümpfe der Schamlippen zusammengenäht werden, gar nicht darstellbar.
    Allein der Schrei des kleinen Mädchens, das mich auf der Kinoleinwand verkörperte, löste jedes Mal aufs Neue einen Flashback in mir aus. Er ließ mich Grauen, Schmerz und Ängste erneut durchleben. Es war, als würde jemand die tiefen Wunden, die ich seit meiner Kindheit mit mir herumtrage, wieder aufreißen. Unzählige Male hatte mich Joanna nach der Szene schon in den Arm genommen und versucht, mich zu beruhigen. Auch diesmal blickte sie mir von der ersten Reihe aus tief in die Augen und nickte mir zu, um mir wie schon so oft Mut zuzusprechen.
     
    Wenige Stunden vor meinem Vortrag hatte ich die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, die zudem Kommissarin für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft war, in ihrem Büro getroffen.
    »Waris, ich bin ja so froh, dass Sie wieder nach Brüssel gekommen sind!«, begrüßte Viviane Reding mich mit einem wohlwollenden Lächeln.
    »Auch ich freue mich, hier zu sein«, erwiderte ich höflich.
    »Ich verspreche Ihnen, ich werde Sie bei Ihrem Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung zu hundert Prozent unterstützen!« Ihre hellblauen Augen funkelten erwartungsvoll durch ihre elegante, randlose Brille. »Gemeinsam werden wir dieses Thema an die Öffentlichkeit bringen, die Menschen müssen alles darüber erfahren«, fuhr Reding bestimmt fort und verschränkte die Arme vor ihrem apfelgrünen Kostüm.
    Für einen Augenblick war ich sprachlos. »An die Öffentlichkeit bringen?«, schnaubte ich regelrecht. Es fiel mir schon immer schwer, in der derlei Situationen diplomatische Contenance zu bewahren.
    Als die Vizepräsidentin nicht reagierte, redete ich einfach weiter.
    »Wie bitte?«, blaffte ich und starrte sie erbost an. »Ich tue seit 1996 nichts anderes, als die Menschen über FGM zu informieren und aufzuklären. Ich habe in New York vor der UN gesprochen, hier in Brüssel vor der Europäischen Union, außerdem vor der Afrikanischen Union in Addis Abeba und vor vielen Regierungen auf der ganzen Welt. Ich bin in Dutzenden Talkshows aufgetreten, habe unzählige Interviews gegeben und dabei mein Innerstes offenbart, sozusagen meine Intimität geopfert, um die Menschen wachzurütteln.« Meine Stimme wurde lauter und begann zu vibrieren. »Ich habe für die UNO und die Afrikanische Union sogar als Sonderbotschafterin gearbeitet und die Desert Flower Foundation gegründet. Jahrelang habe ich jeden Funken meiner Energie in den Kampf gegen Genitalverstümmelung in der ganzen Welt gesteckt. Und Sie wollen mit mir immer noch darüber reden, wie man die Öffentlichkeit am besten über das Thema informiert?«
    Peinlich berührt blickte Viviane Reding zu Boden, während ich sie mit meinem Blick förmlich durchbohrte. Mit einer solchen Reaktion hatte die resolute Frau, der vermutlich nur selten jemand widersprach, bestimmt nicht gerechnet.
    Als sie mir endlich wieder in die Augen sah, fuhr ich leise, aber umso bestimmter fort: »Mama, ich bin nicht hier, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ich bin hier, um mit Ihrer Hilfe weibliche Genitalverstümmelung, dieses Verbrechen an kleinen Mädchen, endlich und für alle Zeit auszurotten. Geredet wurde schon mehr als genug. Ich will jetzt Taten sehen. Von der Europäischen Union, von allen europäischen Regierungen.«
    Auch wenn sie mich verständnislos anschaute, Viviane Reding wusste ganz genau, warum ich derart in Rage geraten war.
    Bereits 2006 , kurz nach Erscheinen meines dritten Buches mit dem Titel
Schmerzenskinder,
war ich als Rednerin vor den EU -Ministerrat getreten, um die besorgniserregenden
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