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Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Titel: Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Autoren: Waris Dirie
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standen Skepsis und Argwohn ins Gesicht geschrieben. Vielleicht irrte ich mich, vielleicht hatte sie ja nur das Blitzlicht der Kamera verschreckt. Das Video, das in meinem Laptop nur darauf wartete, abgespielt zu werden, würde sicher Aufschluss geben. Aufgeregt klickte ich mit der Maus auf den nach rechts zeigenden Pfeil, um es zu starten.
    Langsam und etwas wackelig schwenkte die Kamera zunächst über die hellbraune Wüstenlandschaft. Das Licht gleißte über den mir so vertrauten afrikanischen Horizont. Da war er wieder, der dumpfe, aber beharrlich stechende Schmerz in meinem Herzen, der jedes Mal wiederkehrte, wenn ich derlei Bilder sah. So lange führte ich nun schon ein gutes, angenehmes Leben in Europa, das für mich zur zweiten Heimat geworden war. Mein richtiges Zuhause, die afrikanische Wüste, jedoch hatte mein Herz niemals freigegeben. Je älter ich wurde, desto größer wurde die Sehnsucht nach jenem Land, in dem ich – von meinen Eltern so treffend Waris (Wüstenblume) genannt – aufgewachsen war. Nach jenem Ort, an dem aus mir das starke Mädchen geworden war, das eines Tages wusste, dass nur die Flucht es vor dem sicheren Verwelken bewahren konnte.
    Ein abrupter Schwenk unterbrach meine melancholischen Gedanken. Eine riesige Ansammlung buntbemalter Wellblechhütten füllte nun den Bildschirm aus. Pink, Türkis, Grün, in allen Farben erstrahlte die Festung der Armut, die mehreren tausend Menschen zumindest ein Dach über dem Kopf bot. Unbefestigte, von Schutt, Steinen, grauem Staub und Müllbergen gesäumte Wege führten durch das Dorf. Die Kamera zoomte auf einen verrosteten Blechzaun, der irgendwann einmal blau gestrichen worden war. Eine kleine, schäbige Holztür hing schief in notdürftigen Angeln. Auf einem Mauervorsprung beobachtete eine kleine schwarz-weiß gefleckte Ziege gelangweilt das laute Treiben der im Staub spielenden Kinder vor dem Zaun. Quietschend öffnete sich die Holztür, und ein kleines Mädchen winkte fröhlich lachend in die Kameralinse.
    Es war Safa in einem gelb-rosa geblümten Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte. An ihren Rastazöpfen baumelten bunte Perlen. Gelb, rot, blau und grün leuchteten sie in der Sonne, wie Blumen auf einer Frühlingswiese. Sofort fiel mein Blick wieder auf die glänzende Kette an ihrem Hals, in dessen Grübchen die schützende Hand Fatimas lag. Ich musste schmunzeln, als ich die große Zahnlücke in ihrem sonst so strahlend weißen Gebiss entdeckte. Anscheinend verlor Safa gerade die ersten Milchzähne. Kichernd lief das Mädchen zu der Wellblechhütte, an deren Wand ein kleiner Besen lehnte.
    »Ich mache immer alles sauber!«, rief sie stolz, schnappte sich den desolaten Strohbesen und fegte eifrig den sandigen Boden, bis sie in der grauen Staubwolke, die sie gerade aufwirbelte, kaum mehr zu sehen war.
    »Safa, du wirst ja ganz schmutzig! Wir haben nicht so viel Wasser, dass ich dich dauernd waschen kann.« Hörbar genervt trat Safas Mutter ins Bild. Als sie die Kamera entdeckte, lachte sie verlegen.
    Die nächste Einstellung zeigte die Hütte, in der Safa mit ihrer Familie hauste, von innen. In zwei winzigen Räumen lebten hier zwischen spröden Wellblechwänden und unter einem löchrigen Dach aus Pappe sieben Erwachsene und fünf Kinder. Safa und ihre Mutter nahmen auf einem der beiden notdürftig errichteten Betten im Haus Platz.
    »Wie reagiert Ihr Umfeld darauf, dass Safa nicht beschnitten ist?«, hörte ich unsere Mitarbeiterin aus dem Off fragen.
    »Hier sind alle Mädchen beschnitten«, antwortete Safas Mutter in ihrer und meiner Muttersprache Somali, während sie die Fliegen verjagte, die es sich zwischenzeitlich im Gesicht ihrer kleinen Tochter bequem gemacht hatten. »Alle sind beschnitten, außer Safa«, betonte sie noch einmal.
    Ob sie denn nicht froh darüber sei, dass ihrer Tochter dieses Martyrium aufgrund ihrer Filmrolle und der daraus entstandenen Abmachung erspart geblieben ist, wollte die Interviewerin als Nächstes wissen.
    »Ja, mein Mann und ich haben diesen Vertrag unterschrieben, in dem wir zugesichert haben, Safa nicht beschneiden zu lassen«, antwortete die Somalierin. »Aber ich bin ehrlich gesagt nicht überzeugt davon, dass es die richtige Entscheidung war. Das Beschneidungsritual gehört doch zu unserer Tradition. Niemals werden wir einen Ehemann für Safa finden, wenn sie nicht beschnitten ist. Niemals wird sie so zu unserer Gesellschaft gehören wie die anderen Mädchen. Daher bin ich sicher, dass wir
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