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Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Titel: Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Autoren: Waris Dirie
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womöglich bereits zu spät? Hatten die Eltern sie bereits verstümmeln lassen? Ich wälzte mich in dem weichen Bett hin und her, bis ich endlich einschlief …
     
    Ich spüre die Hitze der Sonne auf der Haut. Das Meer reflektiert die warmen Strahlen, die die Oberfläche des Ozeans in hellem Türkis funkeln lassen. Die unendliche Weite des Indischen Ozeans erstreckt sich vor uns, darüber der strahlend blaue Himmel. Hin und her schaukelt das Wasser das kleine, buntbemalte Fischerboot, um das sich immer wieder glitzernde Wellenkämme aufbauen, die sogleich brechen und in sich zusammenfallen. Die Gischt formt Bläschen, die ebenso kurz Bestand haben wie die Wellen selbst. Wie flüchtige Erinnerungen, die sich im Nu wieder auflösen.
    »He, Waris!«, ruft uns der junge Bootsmann Ahmed zu. »Ich setze euch jetzt auf der kleinen Insel da vorne ab.«
    Mit seinem knöchrigen Finger zeigt er auf die sich am Horizont abzeichnende Silhouette, über der eine Schar von Vögeln kreist. Ich nicke und atme die Meeresluft tief ein.
    »Die Insel ist unbewohnt«, erklärt Ahmed. »Aber es gibt eine alte, verfallene Hütte, in der einmal ein Fischer gelebt hat. Er hat sich das Häuschen gebaut, um auf der Insel zu übernachten, wenn das Meer zu stürmisch war und er mit seinem Fang nicht mehr in den Heimathafen zurückkehren konnte. Dort bringe ich euch hin.«
    Mein Patenkind Safa aus Dschibuti sitzt neben mir auf der grüngestrichenen Holzbank des Bootes. Der Wind spielt mit ihrem seidigen schwarzen Haar, das in der Sonne fast rötlich schimmert. Ihr weißes Kleid flattert in der kühlen Brise. Das Kind aus den Balbala-Slums ist ein wunderschönes Mädchen geworden. Ihre weißen, makellosen Zähne funkeln im gleißenden Sonnenlicht. Freudestrahlend hält sie sich an der Halterung des rostigen Bootsdaches fest, um nicht von einer der Wellen über Bord geworfen zu werden. Wir kneifen beide die Augen zusammen, um die einsame Insel in der Ferne besser sehen zu können. Das warme Salzwasser, das immer wieder ins Boot schwappt, umspielt unsere Knöchel.
    »Waris, ich war noch nie auf einem Boot am Meer. Es ist so wunderschön und aufregend hier, am liebsten würde ich für immer dableiben … mit dir. Ich fühle mich so frei!«, ruft mir Safa aufgeregt zu.
    Dann schließt sie die Augen, als wolle sie den Moment in sich aufsaugen. Leise beginnt sie ein Lied zu summen, dessen Melodie der Fahrtwind davonträgt.
    Ahmed nimmt die Geschwindigkeit zurück und lässt das Boot langsam auf den weißen, endlos anmutenden Sandstrand zuschaukeln. Der Strand wird von einem Korallenriff gesäumt, das an eine eindrucksvolle, von einem Künstler erbaute Mauer erinnert. Begeistert blicke ich mich um. Tatsächlich, auf einem kleinen Hügel steht eine verfallene Hütte, genau wie Ahmed sie beschrieben hat.
    »Ich kann nicht bis ans Ufer fahren, sonst bleibe ich mit dem Boot im Sand stecken«, erklärt uns Ahmed. »Ihr müsst die letzten Meter durchs Wasser waten.«
    Ich steige auf die rostige Reling des wackeligen Fischerbootes und springe ins Meer. »Jetzt du. Keine Sorge, das Wasser ist angenehm warm«, rufe ich in Richtung Boot.
    Ohne sich ihres weißen Kleides zu entledigen, springt Safa mit einem Satz ins türkisblaue Nass. Prustend und lachend taucht sie kurz darauf wieder auf.
    Ich reiche ihr die Hand. »Los, Baby Girl, lass uns an den Strand gehen.«
    Am Ufer angekommen, tapsen wir vorsichtig über den glühend heißen, von zerbrochenen Muscheln und getrocknetem Seetang übersäten Sand.
    »Komm«, sage ich, »wir gehen zu der Hütte von dem alten Fischer. Dort können wir unsere Kleider lassen.«
    Die zerfurchte Türe knarrt laut, als ich sie öffne. Neugierig treten wir ein. Der Geruch von Meersalz und verdorbenem Fisch weht uns entgegen. Neben einem alten, morschen Holztisch, der von der salzigen Seeluft und der Hitze fast völlig zerfressen ist, steht ein rostiges Bettgestell, auf dem die Reste einer vergilbten Zeitung liegen. Darüber hängt ein zerrissenes Fischernetz, das vermutlich schon vor längerer Zeit den Dienst versagt hat. Durch die Ritzen der Holzbretter, aus denen notdürftige Wände gezimmert sind, fällt Sonnenlicht herein. Eilig ziehen wir uns bis auf die Badeanzüge aus.
    »Jetzt geht’s aber los. Runter zum Meer!«, rufe ich und stürme davon.
    Mit ausgelassenen Sprüngen setzt mein Patenkind mir nach.
    Die Wellen plätschern gemächlich vor sich hin. Möwen und Krähen suchen im seichten Wasser nach Essbarem.
    »Komm, lass
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