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Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Titel: Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Autoren: Waris Dirie
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Dämmerung entschwand. Er lachte. »Du hilfst wohl wirklich allen, das war doch nur Ungeziefer.« Er schüttelte den Kopf.
    »Verstehst du denn nicht, Idriss?«, erwiderte ich, als würde ich mit einem kleinen Kind sprechen. »Wir leben alle in einem Universum, in dem alle Lebewesen, egal ob Mensch, Tier oder Pflanze, genauso wie unsere Mutter Erde die gleichen Rechte hat. Wenn wir diese Rechte nicht respektieren, gerät das gesamte Gefüge aus dem Gleichgewicht. Auch dieser Käfer, den du als Ungeziefer bezeichnest, hat unseren Respekt verdient. Auch er will nicht sterben. Kein Lebewesen will sterben oder unglücklich sein. So einfach ist das, und genau dafür kämpfe ich.«
    Der Mann hielt den Atem an. Allmählich schien er zu verstehen, worauf ich hinauswollte.
    Mit leiser Stimme fuhr ich fort: »Deshalb kämpfe ich gegen dieses grauenvolle Ritual der Genitalverstümmelung an unschuldigen kleinen Mädchen. Millionen Kinder werden sinnlos verletzt und umgebracht. Wofür? Kannst du es mir sagen?« Ich beugte mich ganz nahe zu seinem Gesicht, seine Augen fixierten mich. »Weißt du, was ich gerade eben mit diesem Käfer getan habe? Ich habe ihm meine Hilfe angeboten. Aber fliegen musste er alleine.«
    Mit offenem Mund starrte Idriss in die Richtung, in die der Käfer vorhin geflogen war.
    »Genauso möchte ich euch zu einem besseren Leben verhelfen«, erklärte ich. »Armut ist niemals vorherbestimmt, jeder Mensch kann etwas aus seinem Leben machen, und genau das erwarte ich auch von dir.«
    Der Somalier blickte mich stumm an und stand auf. Er ging um den Tisch und sah in den klaren Himmel, wo Millionen Sterne funkelten. Dann drehte er sich zu mir und sagte: »Ich habe verstanden, Waris. Ich muss mein Schicksal und das meiner Familie endlich in die Hand nehmen.«
    Erleichtert atmete ich auf. Ich erhob mich, ging auf ihn zu und umarmte ihn. Gemeinsam gingen wir zurück zu den anderen.
    »Aber in Balbala leben zigtausend Familien … wie können wir ihnen allen helfen?«, fragte Idriss mich vor der Terrassentür.
    »Wir werden einen Weg finden, glaub mir. Deine Tochter soll das Vorbild für alle Mädchen werden, die von FGM bedroht sind … in Balbala, in Afrika, überall in der Welt.«

[home]
    20.
    Safas Rettung
    D ichter Morgennebel lag über dem Ferienhaus in Oberammergau. Alle schliefen noch, erschöpft von dem aufregenden Abend. Ich dagegen fühlte mich regelrecht beflügelt. Eilig sprang ich aus dem Bett, schlüpfte in Laufdress und Turnschuhe und rannte los. Das erfolgreiche Gespräch mit Idriss setzte ungeahnte Energie in mir frei. Es gab mir Kraft für einen weiten Morgenlauf – es würde mir aber auch Kraft für den Start eines neuen Projekts geben, über das ich gleich nach dem Frühstück mit meiner Familie sprechen wollte. Damit meinte ich die ganze große Desert-Flower-Familie, zu der meine Kinder ebenso gehörten wie meine Mitarbeiterinnen sowie alle Unterstützer und Unterstützerinnen meiner Foundation.
    Als ich von meiner Runde zurückkehrte, saßen Walter, Sophie und Joanna bereits auf der Terrasse beisammen, um die letzten Vorkehrungen für die Preisverleihung am Abend in München zu treffen.
    »Guten Morgen!«, rief ich in die Runde, die mir meine Begeisterung ansah.
    Ich setzte mich, trank einen Schluck Orangensaft und erzählte ihnen von meinem aufschlussreichen Gespräch mit Safas Vater. »Idriss ist nun so weit, dass er unsere Arbeit in Dschibuti unterstützen möchte«, erklärte ich erfreut. »Trotzdem wisst ihr genauso gut wie ich«, fuhr ich ernst fort, »dass wir die vielen anderen Familien in Balbala und überall sonst in Afrika nur dazu motivieren können, ihre Mädchen nicht beschneiden zu lassen, wenn wir ihnen dafür finanzielle Unterstützung garantieren. Wir müssen also die Art und Weise, wie wir Safa vor FGM bewahren, auf andere Familien übertragen«, erläuterte ich meinen Plan.
    Wie bei jedem neuen Vorschlag bat ich Walter, Joanna und Sophie um ihre ehrliche Meinung.
    Meine engste Vertraute sah mich nachdenklich an. »Ich kann mir gut vorstellen, dass sich andere Familien auch auf einen solchen Vertrag einlassen würden«, sagte sie schließlich. »Aber wenn wir diese Leute finanziell unterstützen, muss es auf jeden Fall strenge Kontrollen geben, ob die Mädchen auch wirklich unbeschnitten bleiben. Das bedeutet, wir brauchen mehrere Kinderärztinnen und Hebammen, die mit uns zusammenarbeiten und die Mädchen regelmäßig auf ihre Unversehrtheit untersuchen, so, wie es
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