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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen
Autoren: Albert Camus
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Gajus.
    CALIGULA
    Ich weiß es auch nicht. Aber ich vermute, dass es ein Grund zum Leben ist.
    ( CHEREA tritt ein.)
    10 . Szene
    CHEREA
    Wir haben von deiner Rückkehr erfahren. Wir wünschen deiner Gesundheit gutes Ergehen.
    CALIGULA
    Meine Gesundheit dankt euch. (Pause, dann plötzlich) Geh, Cherea, ich will dich nicht sehen.
    CHEREA
    Ich bin überrascht, Gajus.
    CALIGULA
    Sei nicht überrascht. Ich mag die Literaten nicht und kann ihre Lügen nicht ertragen. Sie reden, um sich nicht zuhören zu müssen. Wenn sie sich zuhörten, wüssten sie, dass sie nichts sind, und könnten nicht mehr reden. Los, wegtreten, mir graut vor falschen Zeugen.
    CHEREA
    Wenn wir lügen, geschieht es oft, ohne dass wir es wissen. Ich plädiere für nicht schuldig.
    CALIGULA
    Eine Lüge ist nie unschuldig. Und eure misst den Menschen und den Dingen Bedeutung bei. Eben das kann ich euch nicht verzeihen.
    CHEREA
    Und doch müssen wir für diese Welt plädieren, wenn wir darin leben wollen.
    CALIGULA
    Plädiere nicht, die Sache ist entschieden. Diese Welt ist ohne Bedeutung, und wer das erkennt, erringt seine Freiheit.
    (Er ist aufgestanden.)
    Und ich hasse euch, gerade weil ihr nicht frei seid. Im ganzen Römischen Reich bin ich der Einzige, der frei ist. Freut euch, ihr habt endlich einen Kaiser bekommen, der euch die Freiheit lehrt. Geh, Cherea, und du auch, Scipio, Freundschaft bringt mich zum Lachen. Geht und verkündet Rom, dass ihm seine Freiheit endlich wiedergegeben ist und dass damit eine große Prüfung beginnt.
    (Sie gehen hinaus. CALIGULA hat sich abgewandt.)
    11 . Szene
    CAESONIA
    Du weinst?
    CALIGULA
    Ja, Caesonia.
    CAESONIA
    Aber was hat sich denn geändert? Wenn du auch Drusilla geliebt hast, so hast du sie doch zugleich mit mir und vielen anderen geliebt. Das allein kann nicht der Grund sein, dass ihr Tod dich drei Tage und drei Nächte aufs Land hinaustreibt und du mit diesem feindlichen Gesicht zurückkehrst.
    CALIGULA (hat sich umgedreht)
    Wer redet denn von Drusilla, du Törin? Kannst du dir nicht vorstellen, dass ein Mann wegen etwas anderem als der Liebe weint?
    CAESONIA
    Entschuldige, Gajus. Aber ich versuche zu verstehen.
    CALIGULA
    Männer weinen, weil die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten.
    (Sie geht zu ihm.)
    Fass mich nicht an. Ich will nicht, dass man mich anfasst.
    (Sie weicht zurück.)
    Aber setz dich neben mich.
    CAESONIA
    Ich tue, was du willst.
    (Sie setzt sich.)
    In meinem Alter weiß man, dass das Leben nicht gut ist. Aber wenn das Böse auf der Erde ist, warum sollte man es noch schlimmer machen wollen?
    CALIGULA
    Das kannst du nicht verstehen. Was soll’s? Ich werde da vielleicht herauskommen. Aber ich fühle namenlose Wesen in mir aufsteigen. Was soll ich gegen sie tun?
    (Er wendet sich ihr zu.)
    Oh, Caesonia, ich wusste, dass man verzweifelt sein kann, aber ich wusste nicht, was dieses Wort bedeutet. Ich glaubte, wie alle, es sei eine Krankheit der Seele. Aber nein, was leidet, ist der Körper. Meine Haut tut mir weh, meine Brust, meine Glieder. Mein Kopf ist leer, und mir ist übel. Und das Schrecklichste ist dieser Geschmack im Mund. Weder nach Blut noch nach Tod noch nach Fieber, sondern all das auf einmal. Ich brauche nur die Zunge zu bewegen, und alles wird wieder schwarz, und die Menschen widern mich an. Wie hart, wie bitter es ist, ein Mann zu werden!
    CAESONIA
    Das geht vorüber, mein Kleiner. Du musst schlafen, lange schlafen, dich gehenlassen und nicht mehr nachdenken. Ich werde über deinen Schlaf wachen. Beim Erwachen wirst du den Geschmack dieser Welt wiederfinden. Dann nutze deine Macht dazu, was noch liebenswert ist, mehr zu lieben. Auch das Mögliche verdient, eine Chance zu bekommen.
    CALIGULA
    Aber dazu ist Schlaf nötig, ist Gelöstheit nötig. Das geht nicht.
    CAESONIA
    Das meint man, wenn man völlig erschöpft ist. Irgendwann hat man dann wieder eine feste Hand.
    CALIGULA
    Aber man muss wissen, wo man sie anlegt. Und was soll ich mit einer festen Hand, wozu dient mir diese so erstaunliche Macht, wenn ich die Zustände nicht ändern kann, wenn ich nicht erreichen kann, dass die Sonne im Osten untergeht, dass das Leid abnimmt und die Menschen nicht mehr sterben? Nein, Caesonia, es ist gleichgültig, ob ich schlafe oder wach bleibe, wenn ich nicht auf die Ordnung dieser Welt einwirken kann.
    CAESONIA
    Aber das heißt, den Göttern gleichen zu wollen. Ich kenne keinen schlimmeren Wahnsinn.
    CALIGULA
    Du auch! Auch du hältst mich für wahnsinnig. Und dabei, was ist ein
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