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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen
Autoren: Albert Camus
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nicht enden wollenden Lachen gepackt)
    Den Staatsschatz? Stimmt ja, der Staatsschatz, das ist lebenswichtig.
    OBERHOFMEISTER
    Gewiss, Cäsar.
    CALIGULA (immer noch lachend zu CAESONIA )
    Nicht wahr, meine Liebe, der Staatsschatz ist überaus wichtig?
    CAESONIA
    Nein, Caligula, er ist Nebensache.
    CALIGULA
    Du verstehst eben nichts davon. Der Staatsschatz ist von gewaltiger Bedeutung. Alles ist wichtig: die Finanzen, die öffentliche Moral, die Außenpolitik, die Versorgung der Armee und die Agrargesetze! Alles ist lebenswichtig, sage ich dir. Alles ist gleichrangig: Roms Größe und deine Gichtanfälle. Ah, ich werde mich um all das kümmern. Hör mir einmal zu, Patricius.
    OBERHOFMEISTER
    Wir hören dir zu.
    (Die Patrizier treten näher.)
    CALIGULA
    Du bist mir treu ergeben, nicht wahr?
    OBERHOFMEISTER (vorwurfsvoll)
    Cäsar!
    CALIGULA
    Nun, ich habe dir einen Plan vorzulegen. Wir werden die Volkswirtschaft in zwei Phasen von Grund auf umkrempeln. Ich erkläre es dir, Patricius … wenn die Patrizier gegangen sind.
    (Die Patrizier gehen hinaus.)
    8 . Szene
    ( CALIGULA setzt sich neben CAESONIA .)
    CALIGULA
    Hör gut zu. Erste Phase: alle Patrizier, alle Bürger des Reichs, die irgendwelches Vermögen besitzen – ob klein oder groß, ist ganz einerlei –, müssen zwingend ihre Kinder enterben und auf der Stelle ein Testament zugunsten des Staates machen.
    OBERHOFMEISTER
    Aber Cäsar …
    CALIGULA
    Ich habe dir noch nicht das Wort erteilt. Je nach unseren Bedürfnissen werden wir diese Personen in der Reihenfolge einer willkürlichen Liste töten. Gelegentlich können wir diese Reihenfolge ebenso willkürlich ändern. Und wir werden erben.
    CAESONIA (rückt von ihm ab)
    Was ist in dich gefahren?
    CALIGULA (unbeirrt)
    Die Reihenfolge der Hinrichtungen ist eigentlich völlig unwichtig. Vielmehr sind diese Hinrichtungen gleich wichtig, was zur Folge hat, dass sie überhaupt nicht wichtig sind. Im Übrigen sind die einen so schuldig wie die anderen. Außerdem ist es nicht unmoralischer, die Bürger direkt zu bestehlen, als die für sie unentbehrlichen Lebensmittel heimlich mit indirekten Steuern zu belegen. Regieren heißt stehlen, das weiß doch jeder. Aber es kommt darauf an, wie. Ich werde ehrlich stehlen. Das wird für euch eine Abwechslung von den Kleinverdienern sein. (Barsch zu dem OBERHOFMEISTER ) Du wirst diese Befehle unverzüglich ausführen. Alle Einwohner von Rom unterschreiben ihr Testament noch heute Abend, alle Provinzbewohner spätestens in einem Monat. Schick reitende Boten aus.
    OBERHOFMEISTER
    Cäsar, du machst dir nicht klar …
    CALIGULA
    Hör mir gut zu, du Schwachkopf. Wenn der Staatsschatz lebenswichtig ist, dann ist das Menschenleben es nicht. Das ist klar. Alle, die so denken wie du, müssen diese Schlussfolgerung anerkennen und ihr Leben für nichts achten, da ihnen das Geld alles bedeutet. Ich habe beschlossen, logisch zu sein, und da ich die Macht habe, werdet ihr sehen, wie teuer die Logik euch zu stehen kommt. Ich werde die Widersprechenden und die Widersprüche ausrotten. Wenn es sein muss, fange ich mit dir an.
    OBERHOFMEISTER
    Cäsar, mein guter Wille steht außer Zweifel, das schwöre ich dir.
    CALIGULA
    Meiner auch, das kannst du mir glauben. Dass ich einwillige, deinen Standpunkt zu übernehmen und den Staatsschatz für einen Gegenstand des Nachdenkens zu halten, ist der Beweis. Kurz und gut, bedank dich bei mir, dass ich dein Spiel mitmache und mit deinen Karten spiele. (Pause und dann ruhig) Mein Plan ist durch seine Einfachheit genial, womit die Debatte abgeschlossen ist. Du hast drei Sekunden, um zu verschwinden. Ich zähle, eins …
    (Der OBERHOFMEISTER verschwindet.)
    9 . Szene
    CAESONIA
    Ich erkenne dich gar nicht wieder! Das ist ein Scherz, nicht wahr?
    CALIGULA
    Eigentlich nicht, Caesonia. Das ist Pädagogie.
    SCIPIO
    Das ist doch nicht möglich, Gajus!
    CALIGULA
    Genau!
    SCIPIO
    Ich verstehe dich nicht.
    CALIGULA
    Genau! Es geht um das, was nicht möglich ist, oder vielmehr darum, möglich zu machen, was nicht möglich ist.
    SCIPIO
    Aber das ist ein Spiel, das keine Grenzen hat. Es ist der Zeitvertreib eines Verrückten.
    CALIGULA
    Nein, Scipio, es ist die Stärke eines Kaisers.
    (Er lehnt sich mit einem Ausdruck von Müdigkeit zurück.)
    Ich habe endlich das Nützliche der Macht erkannt. Sie gibt dem Unmöglichen eine Chance. Heute und für alle Zeiten hat meine Freiheit keine Grenzen mehr.
    CAESONIA (traurig)
    Ich weiß nicht, ob das ein Grund zur Freude ist,
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