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Saat des Himmels

Saat des Himmels

Titel: Saat des Himmels
Autoren: Alexander Kröger
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Jussups Erwachen zunächst nicht; er
hielt einen Stock ins Feuer, an dem er kleine Stücke des
bereits halb trockenen Fleisches aus Jussups Bestand briet.
    Jussup richtete sich auf.
Vom Geräusch aufmerksam geworden, wandte ihm der
ungebetene Gast das Gesicht zu, das er zu einem breiten
Lächeln verzog. Er hob die freie Hand und sagte mit sanfter
Stimme: „Ich grüße dich, Hirte!“, er wies auf den Braten,
„und danke dir, dass du den Hungrigen beköstigst und den
Dürstenden, der die Wüste durchquert…“, er zeigte auf das
Brünnlein, „labst. Die Götter mögen es dir vergelten.“
Jussup hatte sich von seiner Überraschung erholt. Er
wollte schon aufbrausen, besann sich jedoch des Gesetzes
der Gastfreundschaft – nicht zuletzt auch beeindruckt vom
Muskelspiel der kräftigen Arme des Fremden.
„Ich grüße dich“, sagte er mit belegter Stimme. „Lass es
dir munden. Wohin führt dich dein Weg, Fremder?“
„Von da nach dort.“ Er wies mit dem Schaschlik zunächst
nach links und dann nach rechts. Demnach wollte er die
Piste entlang, die Jussups Schafe getreten hatten, der Stadt
zu.
Zögernd nahm Jussup die Hand von der Waffe. „Hätte er
mir übel, mich gar töten gewollt, es wäre ihm ein Leichtes
gewesen, während ich schlief“, dachte er.
„Ich bin Ibrahim, der Sohn Ghalibs. Man nennt mich den
Ruhelosen. Einmal bin ich hier, das andere Mal dort. Ist es
weit zu deinem Ort? Ich komme aus dem Tal Umran…“
Jussup horchte interessiert auf. Diesen Namen glaubte er
von den Alten schon gehört zu haben.
Lebten dort nicht diese…? Jussup hatte damals das
unbestimmte Gefühl gehabt, als schwebe ein Geheimnis
über jenem Tal; lediglich in Andeutungen und einer
gewissen Ehrfurcht war gelegentlich davon gesprochen
worden.
„Der Scheitan möge die holen, die dort hausen! Sie hassen
die Fremden. Schau mich an… Ach, wie heißt du, Hirte?“
„Jussup, Sohn des Jakob.“
„Schau mich an, Jussup!“ Der Fremde breitete die Arme.
„Hältst du mich für einen Gefahr bringenden Menschen?
Und doch haben sie mich verjagt wie einen räudigen
Hund.“ Er spuckte aus. „Sie lassen keinen an sich heran,
verkriechen sich in ihren Felshöhlen aus Angst, ihre
merkwürdigen Sitten und Bräuche könnten Schaden
nehmen.“
Und Ibrahim berichtete in gewichtiger, blumenreicher
Sprache von seinen Erlebnissen mit diesen merkwürdigen
Menschen, die abgeschieden in jenem Tal nach äußerst
strengen Riten lebten, sich gegen alle fremden Einflüsse
erfolgreich zur Wehr setzten und stoisch das befolgten, was
ihr höchster Priester ihnen auferlegte.
Ibrahim beschrieb ausführlich den beschwerlichen Weg,
den er durchs karge, steinige Land in drei Tagesmärschen
zurückgelegt habe, hungrig und durstig. Und Jussup könne
sich vorstellen, wie froh er nun sei, auf einen so
gastfreundlichen Menschen gestoßen zu sein.
Der Erzähler gestikulierte und redete sich in Eifer, und
alsbald war zu vermuten, dass sich der Bericht von seinem
Erleben mit Bildern seiner Phantasie verflocht.
Und Jussup fand zunehmend Gefallen an dem Mann, ihm
gefiel dessen Erzählen, ob Wahrheit oder Märchen. Etwas
Schöneres an Abwechslung konnte ihm in seinem einsamen
Hirtendasein nicht widerfahren. Und das Mundwerk des
Ibrahim stand keinen Augenblick still. Es war, als empfinde
er es als einen großen Glücksfall, einen Zuhörer wie den
Schafhüter gefunden zu haben.
Jussup lauschte, erfragte viel, und er nahm die fremde
Welt, die jener Ibrahim in blumenreiche Worte hüllte und
an ihm vorüberziehen ließ, begierig in sich auf.
Des Öfteren musste Ibrahim, dann wenn der junge Mann
nicht verstand oder seine Vorstellungskraft versagte, in
Gleichnissen und Beispielen erklären, aber er tat es
geduldig, offensichtlich mit Freude und wortreich.
Alsbald wünschte sich Jussup, der Gast entschlösse sich,
ihm noch eine Weile, Tage gar, Gesellschaft zu leisten –
seiner Erzählkunst wegen, und auch das in Jussups
Unterbewusstsein noch immer pochende Furchteinflößende
dieses unheimlichen Ortes ertrüge sich in Anwesenheit des
kräftigen Mannes leichter. Jussup war sogar bereit, ein
zweites Lamm zu schlachten, um seinen Gast angemessen
bewirten zu können.
Freilich, der alte Mahmid im Dorf verstand es ebenfalls,
mit seinen Märchen und Schnurren die Leute, Jung und Alt,
fesselnd zu
unterhalten. Allein sein Repertoire war
begrenzt, und ab einer gewissen Altersstufe kannte man den
Gang seiner Geschichten.
Der Spaß dann daran war, dass aufmerksame
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