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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge
Autoren: B Jones
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glänzendem, orangefarbenem Stoff, eine Goldkette baumelt anmutig im kalkuliert tiefen Dekolleté, an einem Finger steckt ein herzförmiger Ring. Die Strumpfhose ist ein wenig zu hell, und die Absätze der weißen, eher praktischen Pumps sind nicht hoch genug. Damit stehen sie im Widerspruch zum restlichen Outfit und geben ihm einen etwas altbackenen Anstrich.
    Am unteren Rand der Aufnahme hat sich eine Hand ins Foto geschmuggelt, die einen absurd großen, feucht glänzenden Vibrator umklammert. Daneben ist die Brettspielversion von Star Trek – Die nächste Generation zu sehen, ebenfalls ein Geburtstagsgeschenk, und dahinter steht Mike in der Tür, in seiner Lederjacke und abmarschbereit. Bis heute höre ich unser schallendes Gelächter.
    Stevie versuchte damals verzweifelt, die Kamera ruhig zu halten und dafür zu sorgen, dass das Poster nicht den Blitz reflektierte und wir uns auch wirklich in der Mitte befanden. Die Bildkomposition war ihm wichtig, das Verhältnis, die Balance. Er wollte das Foto auf keinen Fall vermasseln, schließlich sollte es ins Archiv unserer Jugend, damit wir es eines Tages unseren Kindern zeigen konnten. Ohne den Plastikdildo natürlich. Typisch Stevie.
    Wenn ich heute daran zurückdenke, wie wir damals waren, dann habe ich dieses in Zeitlosigkeit erstarrte Bild vor Augen. Nicht die Realität, sondern die Aufnahme, die aus der Situation heraus entstand, halb inszeniert, halb spontan.
    Diese Nacht.
    Die Jungs trafen pünktlich um halb acht ein, außer Mike natürlich, der bereits oben unter der unzuverlässigen Dusche stand. Bis vor wenigen Minuten vermutlich noch zusammen mit Cora. Ich hatte Gekicher und Geflüster gehört, dann die rutschenden, gurgelnden Geräusche von Seifenschaum und Wasser. Sie duschten oft zusammen.
    Beladen mit Fusel warfen sich Stevie und Tim auf das niedrige verbeulte Sofa, zischend wurden Bierdosen geöffnet.
    Stevie war schon mit zwanzig immer tadellos gekleidet, sein hellblaues Hemd so akkurat gebügelt, dass es in unserem chaotischen und insgesamt eher zerknautschten Wohnzimmer beinahe obszön wirkte. Sein sandfarbenes Haar lichtete sich bereits, aber er sah insgesamt sehr distinguiert aus. Älter, als er war, größer, als man dachte, und auch weit skrupelloser, wie sich später herausstellen sollte.
    Dann war da noch Tim, der verrückte Tim, der über den Stapel Wurfsendungen im Flur stolperte. Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Er war laut und schlaksig und hatte sich an diesem Abend eine Hose von Stevie geliehen, die ihm zu lang war, obwohl beide ungefähr die gleiche Größe und Statur hatten. Der Stoff staute sich an seinen Fußgelenken und verlieh ihm das Aussehen eines Clowns.
    Natürlich hatte Tim den Vibrator mitgebracht. Um sich einen dummen Scherz zu erlauben, überreichte er ihn im Karton eines Küchenmixers, den er vorher irgendwo aufgetrieben hatte. Ungeduldig riss Cora das Geschenkpapier auf.
    »Für später, wenn ihr mal zusammenwohnt, du und Mike«, spöttelte er.
    Sie weiß, dass er sie auf den Arm nimmt. Dafür lebt er, das ist die Luft, die er atmet, die einzige Nahrung, die er außer dem in Swansea stetig fließenden Brains-Bier braucht. Trotzdem ist vielleicht eine kleine Standpauke angebracht à la »Du lebst wohl noch in den Vierzigern, wenn er nicht für den Rest seines Lebens bei seiner Mutter wohnen will, soll er sich sein Abendessen selbst kochen«, nur um keinen Zweifel daran zu lassen, dass wir nichts von Rollenklischees oder sonstigem sexistischem, präfeministischem Unsinn halten.
    Aber Cora kochte damals durchaus für Mike. Jedes Mal, wenn er sich von seiner Literatur des neunzehnten Jahrhunderts losreißen konnte und gerade keine gegnerische Fußballmannschaft in Grund und Boden spielen musste, kam er aus Swansea zu Besuch, und dann zauberte sie aufwändige Pasteten und Eintöpfe, servierte Würstchen in Yorkshirepudding, Desserttörtchen und selbstgebackenes Brot, Leckereien, die jedes dritte Wochenende warme, muffige Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit weckten, die die nur durch Briefe gelinderten Schattenseiten ihrer Fernbeziehung vergessen machten. Diese gemeinsam verbrachten Wochenenden endeten regelmäßig mit einem Berg von schmutzigem Geschirr.
    Mit einem letzten Ruck ist das Paket schließlich geöffnet, und wir halten die Luft an und erwarten das Unerwartete – das Geschmacklose, Vulgäre. Tim, wie er leibt und lebt. Cora schiebt die Hand in den Karton und zieht die brechreizerregende, anatomisch
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