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Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden

Titel: Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden
Autoren: Berte Bratt
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stand mein Koffer.
    „Mensch, hast du es gemütlich!“ rief ich.
    „Nicht wahr? Und hier die Bilder von euch allen, das war das erste, was ich aufhängte!“
    „Euch ist gut! Du hast keins von mir!“
    „Nein, weil ich nicht immer und ewig die Frage hören wollte, warum ich mich selbst an die Wand gehängt hätte! Wenn ich mich nach dir sehne, gucke ich nur in den Spiegel, nicke und sage ,Guten
    Morgen, Sonnie’ oder ,Gute Nacht, Schwesterherz!’“
    „Ach Senta, du bist einmalig!“
    „Das bin ich eben nicht. Pack nun endlich deine Klamotten aus, und wenn du fertig bist, kommst du zu mir ins Bügelzimmer und unterhältst mich, während ich die Blusen der Gnädigen plätte.“
    „Du, Senta“, sagte ich, während ich meinen Koffer öffnete. „Bernt hat mir lange Vorträge gehalten über die deutsche Höflichkeit. Aber du sagst ja gar nicht ,Gnädige Frau’ zu Frau von Waldenburg.“
    „Nein, bei uns hat es sich ausgegnädigt! Anfangs tat ich es, und sie sagte, ,Fräulein Rywig’. Dann wurde es Fräulein Senta, und ich brauchte nicht mehr gnädige Frau zu sagen. Allmählich hat sie auch das Fräulein weggelassen, das mag ich furchtbar gern.“
    „Wenn ihr in Norwegen wäret, hätte sie längst du gesagt, und du hättest sie wahrscheinlich Tante genannt.“
    „Bestimmt. Aber hier ist es eben anders. Daran gewöhnt man sich schon. Und weißt du, eigentlich mag ich es ganz gern, daß man nicht dazu verpflichtet ist, jeden jungen Menschen zu duzen, so wie bei uns. Hier macht man es erst, wenn man sich gegenseitig leiden mag!“
    „Das hat etwas für sich“, gab ich zu. „Hier, Sentalein, ist etwas von Beatemutti.“
    „O Sonnie - todschick! Wie in aller Welt kommt sie überhaupt zum Stricken? Sie hat doch so viel um die Ohren!“
    Senta hielt einen entzückenden blauen Pulli in den Händen.
    „Sie strickt abends beim Fernsehen. Sie ist bienenfleißig, weißt du. Hier... das ist auch für dich!“
    „Mensch, Ziegenkäse! Ich werde verrückt! Ziegenkäse ist das einzige, was ich hier vermisse!“
    „Wem sagst du das? Weißt du noch, daß ihr mir immer Ziegenkäse nach England schicken mußtet? Nun lauf zu deiner Wäsche, Senta, wo ist das Bügelzimmer?“
    „Zweite Tür rechts im Korridor! Du, der rechte Teil des Schrankes da ist für dich freigemacht, und der Schub dort. liebe Zeit, ich muß Bickys Futter aus dem Tiefkühlschrank holen - und einen Kuchen wollte ich auch backen.“ Meine energiegeladene Schwester verschwand, und ich packte aus und räumte meine Sachen ein.
    Zwei Monate sollte ich hierbleiben. In dieser entzückenden Wohnung mit meiner lieben Schwester zusammen! Wir konnten uns einrichten, wie wir wollten, konnten arbeiten oder faulenzen, ausge-hen oder zu Hause bleiben, fernsehen, lesen - und dabei war ich im Ausland, würde jeden Tag eine Fremdsprache hören, neue Menschen sehen, andere Straßen und Häuser, immer, immer Neues sehen...
    Was für ein Glückspilz war ich doch!

Ausflug nach Hamburg
    Am folgenden Morgen war Senta vor sechs auf. Ich hörte sie in der Küche wirtschaften. Richtig, Frau von Waldenburgs Sohn und Schwiegertochter wollten kommen und die Mutter nach Hamburg fahren, zum Flughafen. Also hieß es ein anständiges Frühstück vorbereiten. Besser, ich machte mich schnell fertig und half in der Küche.
    „Ach, du bist ein Goldstück!“ rief Senta, als ich ihr meine löbliche Absicht mitgeteilt hatte. „Kannst du schnell zum Bäcker laufen? Nimm diese Tasche, und hier ist das Wirtschaftsportemonnaie! Gleich links, wenn du zum Gartentor rauskommst, die zweite Straße rechts, dann siehst du gleich den Bäckerladen. Es geht nichts über frische Brötchen.“
    „Jetzt? Es ist noch nicht sieben, holde Schwester!“
    „Du bist nicht in Norwegen! Hier machen die Bäcker um halb sieben auf! Also - du holst vier Mohnbrötchen, zwei Hörnchen, vier Geteilte, fünf Butterfranz.“
    Das klang chinesisch für mich.
    „Bitte, gib mir einen Bleistift und wiederhole es!“
    Sie kritzelte alles auf ein Stück Papier, ich ergriff das Geld und die Tasche.
    „Nimm Bicky mit!“ rief Senta. „Sie macht immer ihr Teichlein genau an der ersten Ecke. Du kannst sie am Treppengeländer vor dem Bäckerladen anleinen. Sie kennt das, so machen wir es immer.“ Also startete ich zu meiner ersten selbständigen Wanderung in Deutschland.
    Im Laden war es voll.
    „Morgen, Fräulein Senta!“ Eine freundliche, dicke Dame nickte mir zu, und dann sagte sie eine Menge, was ich nicht verstand.
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