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Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden

Titel: Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden
Autoren: Berte Bratt
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sehen, die er umgelegt hatte.
    „Senta!“ flüsterte ich. „Heiko! Seht doch!“
    In einer schwarzen Umrahmung stand Peters Todesanzeige.
    „Passagiere mit der Südflug-Chartermaschine nach Frankfurt über Kairo, bitte begeben Sie sich zum Ausgang!“
    Dann saßen wir wieder im Flugzeug. Heiko neben mir, auf meiner anderen Seite Senta. Vor uns das Ehepaar Dieters und Herr Klinger. Hinter uns das Ehepaar Johannsen.
    Mein Herz und meine Gedanken waren merkwürdig geteilt. Mit der Hälfte meines Ichs war ich bei Heiko, bei all unseren wunderbaren Erinnerungen, bei der Vorfreude auf das, was nun vor mir lag: Die Bahnfahrt mit Heiko, viele Stunden mit ihm allein, die Begegnung mit seinen Eltern. Und... hier fing die andere Hälfte meines Ichs an. der Besuch bei Anke. Anke, die in wenigen Wochen so viel erlebt hatte. Wie würde ihr wohl jetzt zumute sein?
    Peter war tot. Der hübsche, charmante, gewissenlose Peter. Peter, der nach seinem Unfall auf andere Gedanken gekommen war, der auf bittere Art den Ernst des Lebens erfahren hatte. Des Lebens? Nein, den Ernst des Todes.
    Wir flogen über den Wolken, in strahlender Sonne.
    Hinter mir hörte ich die unverbesserliche Frau Johannsen:
    „Und nun hatte ich mich doch so darauf gefreut, die Äquatorlinie zu sehen, und dann sind die Wolken dazwischen!“
    Heiko lächelte und drückte meine Hand. Dann sah er mir aufmerksam ins Gesicht: „Denkst du an Anke, Sonnie?“
    „Ja. Und an Peter. Es hat mich schrecklich beeindruckt.“
    „Das verstehe ich.“
    Wir schwiegen eine Weile.
    „Aber Sonnie, geht es dir nicht auch so, daß du jetzt doppelt dankbar bist - für unser Glück?“
    „Und ob ich das bin, Heiko. Ich verstehe nicht, was mit dem Schicksal oder mit Frau Fortuna los ist. Plötzlich regnet so viel Glück über mich - sie müssen mir versehentlich die Zuteilung für zehn Menschen geschenkt haben!“
    „Mir auch, Sonnie.“
    Unter uns wurde die Wolkendecke leichter, sie löste sich auf, wurde durchsichtig, dann verschwand sie ganz. Tief unter uns lag die Wüste, die brennende rotbraune, hügelige Wüste. Da - ein schmales, glitzerndes Band. Der Nil!
    Noch eine halbe Stunde - dann konnten wir den Assuan Staudamm sehen. Aber so klein, so winzig klein - schließlich befanden wir uns ja neun Kilometer darüber, höher als der Mount Everest.
    Dann Kairo. Da hielten wir uns die Hände, Heiko und ich. Grade hier, in der Transithalle, hatte er mich angesprochen. Es war fünfzehn Tage her. Die schönsten Tage meines Lebens.
    Dann flogen wir übers Mittelmeer, das blau und strahlend in der Sonne lag. Die Schiffe waren winzige Pünktchen.
    Der Peloponnes. Die ganze Halbinsel auf einmal - wie in einem Atlas. Die Städte nur als klitzekleine Fleckchen zu sehen.
    Ich lehnte mich zurück, schloß die Augen. Wechselnde Bilder von der vergangenen Woche zogen an meinen Augen vorbei. Die Meerkatzen in Keekorok. Die Löwin mit der Antilope, die ‘wartenden Hyänen und Geier. Die entzückenden Thomsongazellen. Seronera - unser Zelt, und der Morgen - wann war es? Vor einem Jahr? Nein, vor achtundvierzig Stunden. Oder, um ganz genau zu sein, fünfzig Stunden.
    Wieder zogen die Giraffen über die Savanne, wieder galoppierten die Gnus - jetzt, in diesem Augenblick lebten und liefen, jagten und aßen sie, die endlosen Steppen waren voll Wärme und Leben und Schönheit.
    „Woran denkst du, Impala?“
    „An die Gnus. Die galoppierenden Gnus. Wenn ich richtig hinhorche, kann ich das Dröhnen ihrer Hufe noch hören. Und du?“
    „An die Zebras. Weißt du noch, als wir das erste Mal diese unfaßbare Menge sahen... die Tausende Zebras auf einmal? Ja, und dann denke ich an ein paar Zeilen aus meinem Lieblingsbuch.“
    „Welche?“
    „Soll ich sie dir sagen? Wörtlich?“
    „Ja, bitte.“
    Heiko sah mich nicht an. Er sah gradeaus, in das Nichts. Aber ich wußte, daß dieselben Bilder, die in meinem Gedächtnis lebendig waren, auch vor seinem inneren Auge vorbeizogen.
    Dann zitierte er, leise, aber deutlich:
    „Immer bleibt die Natur, solange wir sie nicht sinnlos zerstören. In fünfzig Jahren wird sich niemand mehr für das Ergebnis der Konferenzen interessieren, die heute Schlagzeilen machen.
    Aber wenn ein Löwe im rötlichen Morgenlicht aus dem Gebüsch tritt und dröhnend brüllt, dann wird auch Menschen in fünfzig Jahren das Herz weit werden. Ganz gleich, ob diese Menschen dann Bolschewisten oder Demokraten sind, ob sie englisch oder russisch, suaheli oder deutsch sprechen. Und sie
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