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Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden

Titel: Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden
Autoren: Berte Bratt
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später. kann ich es. Schreiben kann ich es auch. Aber das ist eine andere Geschichte - und was für eine!
    Da tauchte etwas auf der linken Seite auf - o ja, ich kannte es von Sentas Ansichtskarten. Es war das Denkmal in Laboe, das wie ein gewaltiger Schiffsbug emporragte. Ja, dort oben war Senta gewesen, von dort konnte man bei klarem Wetter bis nach Dänemark sehen.
    Augenblicklich lag mir durchaus nichts an einem Blick nach Dänemark. Im Gegenteil, meine Augen waren genau gen Süden gerichtet.
    Häuser - Villen - Autos, viele Autos. da. ach ja, wirklich, die norwegische Flagge! Da eine deutsche, dort eine dänische, da eine quergestreifte rot-blau-weiße, das mußte die Flagge von Schleswig-Holstein sein.
    Wir fuhren langsam, langsamer, noch langsamer. Aus der bunten Menschenmasse am Kai wurden Einzelgestalten; Gesichter wurden erkennbar... da!
    Dicht an die Sperre gedrückt eine schlanke Gestalt, ein blondgelocktes Köpfchen - komischer Gedanke, daß andere Menschen mich genauso sehen, wie ich jetzt Senta sah. Sie rief irgend etwas, aber der Abstand war zu groß, der Krach zu laut, ich konnte nichts verstehen.
    Ich rannte die Treppen hinunter, damit ich möglichst weit nach vorn in die Schlange vor dem Ausgang kam.
    Noch mehr Schlange auf dem Kai - hinein in ein kleines Gebäude zur Paß- und Zollkontrolle - und dann hatte ich die Arme meiner geliebten Schwester um den Hals.
    Die Leute auf dem Kai drehten sich um nach uns, der Taxifahrer sah uns an, schüttelte den Kopf und murmelte etwas wie: „Seit wann sehe ich doppelt?“ Senta trug ihren gefütterten Popelinemantel, den sie kurz vor ihrer Deutschlandreise gekriegt hatte, und ich trug den meinen. Wir sahen uns also buchstäblich zum Verwechseln ähnlich. Aber in diesem Punkt sind wir Kummer - und sehr viel Spaß gewöhnt.
    Wir fuhren durch belebte Straßen, Senta zeigte und erklärte.
    „Da ist der Hauptbahnhof! Hier geht es nach Hamburg, dort nach Lübeck! Da ist die große Werft, wo die Schiffe gebaut werden - ja, das norwegische Konsulat ist auch da. Diese Brücke hier ist ganz neu. Links geht es nach Laboe.“ und zwischendurch fragte sie nach Mutti und Papa und den Geschwistern, besonders nach Annette, die sie kaum kannte. Sie hatte unser Schwesterchen nur einmal gesehen. Ja, nur ein einziges Mal war Senta in diesen zwei Jahren auf einen kurzen Besuch zu Hause gewesen.
    Wir hielten vor einer schönen Zweifamilienvilla und trugen mit vereinten Kräften Koffer, Reisetasche und noch eine Tasche durch den Garten zur Haustür. Senta schloß die Tür auf.
    „Ich ahne nicht, ob Frau von Waldenburg schon auf ist, sie ist eine Nachteule und schläft morgens lange, aber sonst ist sie ein Goldstück!“ erklärte sie mir lachend. „Hier, häng deinen Mantel auf - du, ich trage den Koffer gleich in unser Zimmer. Hier ist das Bad, falls du dir die Hände waschen möchtest. Geh nachher durch diese Tür, dort ist das Wohnzimmer. Falls der Hund dich überfällt, will er dich nicht auffressen, er will nur spielen - ach, ich muß schnell auch das Kaffeewasser aufsetzen!“
    Meine vielbeschäftigte Schwester verschwand. Ich machte mich ein bißchen zurecht und ging dann durch die Tür, die sie mir gezeigt hatte.
    Ich trat in ein sehr großes und sehr schönes Wohnzimmer, mit einem herrlichen Blick auf die Kieler Förde. Aber ich kam gar nicht dazu, den Blick zu genießen, denn was Senta vorausgesagt hatte, geschah. Ein kleines, grauschwarzes, pudelähnliches Etwas stürzte auf mich los, sprang hoch und versuchte mein Gesicht zu lecken. Dann machte es kehrt, holte einen zerbissenen Ball aus einer Ecke, kam wieder zurück und wollte unbedingt mit mir spielen. Es schien Quecksilber im Körper zu haben, es war ein Quirl, ein kleiner Blitz.
    Da kam noch jemand zum Vorschein. Aus dem Nebenzimmer erschien eine hübsche, grauhaarige Dame in den Fünfzigern.
    „Bicky, beruhige dich doch!“ redete sie mit dem Hund. Dann wandte sie sich zu mir:
    „Nanu, Senta, sind Sie allein? Ist Ihre Schwester nicht gekommen?“
    Ich machte den Mund auf, aber die deutschen Worte waren aus meinem Gedächtnis wie weggeblasen. Ich suchte meine Zuflucht im Englischen:
    „Excuse me, madam. I don’t speak German. I am the sister!“
    Frau von Waldenburg lachte hellauf und reichte mir die Hand. Sie antwortete in einem deutlichen, wenn auch nicht ganz reinen Englisch:
    „Herzlich willkommen, Fräulein Sonja! Jetzt begreife ich, warum Bicky Sie als eine interessante Fremde begrüßt hat. Das kluge
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