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Ruth

Ruth

Titel: Ruth
Autoren: Frank G. Slaughter
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wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
Der Hunger hatte seine Gesichtszüge verschärft, und seine Augen lagen tief in
ihren Höhlen. Aber es war noch immer das Gesicht eines Träumers, wenn auch die auf
den Rücken der beiden Kamele gepackten Ambosse, Glühöfen und Hämmer das Gewerbe
der Familie verrieten: sie waren Schmiede.
    Noëmi band die Schnüre um die
Öffnung des Wasserschlauchs fest und half ihrem Mann, sich ein wenig im Sattel
zu bewegen, um den Krampf in seinen Gliedern zu lindern. Sie trank jedoch
nicht, obwohl ihr Durst so groß war wie der Machlons. Noëmi war der Fels, an
den sich die Mitglieder ihrer kleinen Familie in Krisenzeiten klammerten, sie
war die eigentliche Führerin ihrer Herde. Denn Machlon war, trotz seiner
Charakterstärke, zu sehr der versponnene Künstler, um je ein echter Anführer
sein zu können, und Kiljon war immer nur seinem älteren Bruder gefolgt.
    „Ich sehe Spuren hier auf dem
Pfad“, sagte Machlon plötzlich. „Zwei Pferde, schnell geritten... die Spur ist
nicht älter als zwei Tage.“
    „Moabiter!“ Noëmi verschluckte
ihre Worte. Sie brauchte ihre Ängste nicht auszusprechen. Die Männer von Moab
waren Feinde Israels, und dies war das Grenzland, in dem Überfälle von beiden
Seiten an der Tagesordnung waren.
    „Wer es auch war, sie waren nur
zu zweit, und sie ritten vor uns von Juda nach Moab“, sagte Machlon beruhigend.
„Vielleicht fliehen auch andere unseres Stammes vor der Hungersnot.“
    Noëmi atmete tief auf vor
Erleichterung. „Laßt uns weiterziehen, damit wir endlich nach Moab kommen. Dann
können wir auf unser Asylrecht pochen.“
    „Ich habe gehört, daß Zebuschar
ein gerechter König ist, obwohl er einem grausamen Gott dient“, sagte Machlon
und setzte hoffnungsvoll hinzu: „Sicher wird er das uralte Recht der Schmiede,
das ihnen in jedem Land Zuflucht gewährt, respektieren.“
    Später an jenem Nachmittag
wurde der Mut der kleinen Karawane durch den Anblick grüner Bäume gestärkt, die
sich am Horizont erhoben, dort, wo der Weg nach Moab bei der Zufluchtsstätte
den Jordan durchquerte. Machlon teilte den anderen seine Ängste nicht mit, aber
er fühlte sich durch die Geier beunruhigt, die er unermüdlich über den Bäumen
kreisen sah. Er wußte, wo sie sich so lange herumtrieben, da mußte etwas
Lebendes dem Tode nahe sein.
    In seiner Sorge, was wohl vor
ihnen liegen möge, bemerkte er weder die Staubwolke auf dem Pfad hinter sich,
noch hörte er das Donnern sich rasch nähernder Pferdehufe, bis Noëmi plötzlich
aufschrie: „Machlon! Schau, da hinter uns!“
    Der ältere Sohn drehte sich
rasch um, seine Augen mit der Hand beschattend. „Es ist ein kleiner
Reitertrupp“, sagte er. „Sie reiten, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre.“
    „Sehen sie aus wie Räuber?“
    „Sie kommen aus Juda“,
versicherte ihr Machlon. „Es müssen also unsere eigenen Leute sein.“ Aber seine
Finger umklammerten den Speer in der rechten Hand fester, und er lockerte den
Dolch in der Scheide an seinem Gürtel. Dem Bruder gab er ein Zeichen, das
gleiche zu tun. In den Zeiten der Hungersnot konnte ein Mann selbst seinen
Stammesgenossen nicht immer vertrauen.
    Da zog ein Lächeln über
Machlons Gesicht. „Es ist Boas! Kein anderer in ganz Israel sitzt so stolz und
aufrecht im Sattel.“
    „Und ich erkenne meinen Freund
Joseph“, fügte Kiljon hinzu. „Er reitet neben Boas.“
    Die Reiter, mehr als ein
Dutzend an der Zahl, hatten die Karawane in ein paar Sekunden eingeholt. Sie
hielten an, die Pferde straff am Zügel, Schwerter und Lanzen erhoben, bis sie
die Menschen vor sich erkannten. „Elimelech! Noëmi! Machlon und Kiljon!“ rief
der Anführer aus. Boas war älter als Machlon. Seine Größe und die breiteren
Schultern, die Strenge seiner Gesichtszüge und der freudlose Blick ließen den
Altersunterschied zwischen ihnen jedoch viel größer erscheinen, als er in
Wirklichkeit war. „Warum seid ihr hier auf dem Weg nach Moab?“ fragte er.
    „Wir verlassen Israel“,
antwortete Machlon ruhig.
    Boas starrte ihn ungläubig an.
„Ihr verlaßt Israel? Warum?“
    „Mein Vater ist krank, und es
herrscht Hungersnot. Wenn wir nicht bald Nahrung finden, wird er sterben und
wir alle mit ihm.“
    „Viele von uns sind hungrig,
aber wir bleiben in unserem eigenen Land“, entgegnete Boas heftig. „Wohin
bringt ihr Elimelech?“
    „Nach Moab.“
    „Moab!“ rief der junge Mann neben
Boas aus, den Kiljon Joseph genannt hatte. „Seid ihr
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