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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem
Autoren: William Ryan
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achtjährigen Soldatenleben überallhin begleitet und spendete ihm immer Trost, wenn die Welt um ihn herum wieder einmal in Düsterkeit versank.
    Als er fertig war, betrachtete er zufrieden die Dielen. Ja, das Versteck war nicht so leicht zu entdecken und würde höchstens bei einer gründlichen Durchsuchung auffallen. Als er sich auf die Tasche klopfte, spürte er die Umrisse des Milchmädchenfotos. Da er das Bild nicht einfach bei der Heiligen Schrift lassen konnte, musste er zusehen, dass er es bei nächster Gelegenheit loswurde.
    Eine halbe Stunde später stapfte Koroljow auf der Rasin-Straße in schnellem Schritt an der Statue des aufständischen Kosaken vorbei, nach dem die Bolschewiken die Straße benannt hatten. Ein uniformierter Offizier der Volksmiliz konnte es sich nicht leisten, pfeifend in der Öffentlichkeit gesehen zu werden, wenn er bei Bürgern und vor allem Verbrechern nicht jeden Respekt verlieren wollte. Trotzdem war die Versuchung für Koroljow fast unwiderstehlich. In Zivil hätte er es vielleicht mit ein paar Takten einer erbaulichen Melodie probieren können - der Internationalen vielleicht. Doch die Dienstkleidung verbot jede offene Zurschaustellung von Zufriedenheit. Kurz gesagt, nach einem eher beunruhigenden Tagesbeginn hatte die neue Wohnung seinen üblichen vorsichtigen Optimismus wiederhergestellt, und er vertraute darauf, fürs Erste zumindest, dass die Lage nicht allzu schlecht war. Sie wurde sogar immer besser, wie Genosse Stalin erst kürzlich betont hatte. Ja, die Lage wurde auf jeden Fall besser.
    Als er gerade Ausschau nach einem Telefon hielt, um sich in der Petrowka-Straße zu melden, bemerkte er weiter vorn vor einer Kirche zwei parkende Schwarze Krähen. Neben den Milizwagen standen Uniformierte, daher nahm er an, dass es sich um den Tatort handelte, von dem Popow vorhin gesprochen hatte. Die kleine Kirche war mit einem Komsomol-Spruchband geschmückt, das über dem Eingang hing und die Parteijugend aufforderte, zur Unterstützung der spanischen Genossen zu tanzen. Vor dem Gebäude war ein Seil gespannt, doch das war eigentlich überflüssig, weil die meisten Bürger ohnehin auf die andere Straßenseite wechselten, um den Milizionären auszuweichen. Nur ein ausgemergelter Köter, der von Glück sagen konnte, dass er in diesem hungrigen Sommer nicht in einem Kochtopf gelandet war, und drei nicht weniger zerrupfte Straßenkinder zeigten sich offen interessiert, aber ebenfalls nur aus sicherer Entfernung. Jetzt trat Popow heraus, gefolgt von weiteren Uniformträgern, die ihm zuhörten, als er seine Befehle erteilte und zur Betonung die Faust in die Handfläche klatschen ließ.
    Mit einem knappen Nicken nahm der General den näher kommenden Koroljow zur Kenntnis. »Sie haben also meine Nachricht erhalten?«
    »Nein, Genosse General, ich wollte eigentlich von der Zelle ein Stück weiter vorn anrufen, da habe ich die Wagen gesehen.«
    »Auch gut, auch gut. Das hier ist was für Sie, Alexei Dimitrijewitsch.« Der General deutete mit der Pfeife nach hinten auf die Kirche, dann wandte er sich mit finsterer Miene an die Milizionäre.
    »Ich will eine Aussage von jedem Bürger in einem Umkreis von zweihundert Metern. Wir müssen über jede Bewegung in den letzten zwei Tagen Bescheid wissen, egal, ob Mann, Frau, Kind oder Maus. Und schicken Sie alle Informationen an den Genossen Koroljow hier in der Petrowka-Straße. Er wird sich mit dem Fall befassen.«
    Die Uniformierten salutierten und machten sich auf den Weg.
    Popow schaute ihnen nach. »Wahrscheinlich alles Zeitverschwendung, aber wenn man heutzutage nicht alle nur erdenklichen Maßnahmen ergreift, macht man sich anfällig für Kritik.« Er konzentrierte seine Gereiztheit auf das schwindende Quantum Tabak im Pfeifenkopf und füllte ihn mit kurzen, zornigen Daumenstößen aus einem kleinen Lederbeutel nach. Koroljow hütete sich davor, den General beim Denken zu unterbrechen, und wartete schweigend ab.
    Schließlich erinnerte sich Popow wieder an ihn und wies erneut mit der noch unangezündeten Pfeife auf den Kircheneingang. »Schreckliche Sache, Koroljow. Gestern Nacht ist irgend so ein Bursche dort eingedrungen und ...«Er brach ab und winkte Koroljow zur Kirche. »Jedenfalls, wirklich unschön das Ganze, und wenn wir ihn nicht bald erwischen, wird er es garantiert wieder tun. Der hat Geschmack an der Sache gefunden, das spüre ich in den Knochen.«
    In der Kirche war es dunkel bis auf einige schwache Lichtstrahlen, die durch die
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