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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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rapple mich aus dem klapprigen Bett auf und folge dem Hauptmann. Fedun steht schwitzend vor dem angewinkelten Zeichentisch, der mit einem Tuch bedeckt ist. Ein weiteres Tuch liegt über dem Schreibtisch in der Ecke.
    »Der General ist unterwegs«, sagt Dubinin.
    Ich lehne mich gegen die Wand, die sich zu bewegen scheint. Der Verband, den Vadim um mein Bein gewickelt hat, ist ausgefranst und feucht. Ich ziehe das Hosenbein hoch und stelle erleichtert fest, dass es Schweiß ist und kein Blut. Feduns vogelscheuchenhafte Gestalt taucht vor meinen Augen auf und verschwimmt dann wieder.
    Der General erscheint, in Begleitung zweier seiner Leute. Als er mich sieht, schüttelt er den Kopf und wendet sich an Fedun. »Was haben wir?«
    »Ein Trojanisches Pferd«, sagt Fedun mit einer Stimme, deren widerhallender Bass durch die verworrenen Windungen meines Hirns hüpft.
    Verlorene Monate tanzen vor meinem geistigen Auge auf und ab. Alles umsonst! schreit es in meinem Kopf. Die toten Polizisten, der gefolterte Hausmeister, Valja - alles wegen einer Täuschung.
    »Eine Fälschung?«, fragt der General.
    »Eher so etwas wie eine Matroschka «, antwortet Fedun.
    Dann zieht er das Tuch weg.

50
    Eine Stimme dröhnt unablässig durch meinen Kopf. Es ist Fedun, denke ich, der einen Vortrag hält.
    Das Abendmahl zeigt Christus gelöst, erklärt er, versöhnt mit dem Gedanken, dass die Menschen das Böse im Blut haben. Er strahlt inneren Frieden aus; das wird unterstrichen durch die Linie seiner ausgebreiteten Arme, die die Umklammerung durch die von ihren Sünden losgesprochenen Apostel zu einem harmonischen Ganzen ordnen, was anderen Darstellungen dieser Szene nie recht gelungen ist. Das reduzierte Format wandelt die Szene subtil ab, woraus sich kleine Unterschiede zwischen diesem Bild und dem Meisterwerk im Mailänder Kloster ergeben, was zum Teil aber auch darauf zurückzuführen sein mag, dass das Mailänder Gemälde große Beschädigungen erlitten hat und im Laufe der Zeit so häufig ausgebessert wurde.
    Experten vermuten schon lange, dass nicht Leonardo das Gesicht Jesu auf der Wand des Refektoriums gemalt hat, sondern dass das, was wir dort sehen, später von einem weniger talentierten Künstler hinzugefügt wurde. Ihr Verdacht war richtig - die endlosen Restaurierungen haben die Pracht, die Leonardo dem Bild verlieh, nicht wieder einfangen können. Viel stärker als das verblichene Gesicht auf der Wand zeigt die Leinwandversion Jesus mit einem zutiefst edlen Ausdruck, der dem Anmut seiner Geste hin zu Brot und Wein ebenbürtig ist und im Gleichgewicht zu den hervorragend gezeichneten Figuren der Apostel steht.
    Es dominieren Blau-und Rottöne, die gegen die bleiche Blässe des horizontalen Tafeltuchs gesetzt sind. Die Leinwand zeigt einen graduellen, fast unmerklichen Übergang zwischen den Flächen verschiedener Farben, ein Aufweichen von Rändern und Formen, eine durchaus verbreitete schleierartige Oberflächenbeschaffenheit, eine Technik namens sfumato , von dem italienischen Wort fumo für Rauch abgeleitet - eine Technik, deren größter Meister Leonardo war.
    »Wie ist es erhalten?« Die Stimme des Generals klingt wie splitterndes Eis und reißt mich aus meiner Benommenheit.
    »Bemerkenswert gut, den Umständen entsprechend«, antwortet Fedun. »Sicherlich, es hat Schaden genommen, aber …« Er breitet die Hände aus, was bedeuten soll, dass die Antwort offensichtlich ist. »Noch etwas«, fügt er hinzu. »Sehen Sie mal näher hin.«
    Der General beugt sich über das Bild.
    »Sehen Sie die Linien? Das Gitter unter der Farbe?«
    »Ja?«
    »Unter der Farbschicht befindet sich eine Skizze, ein vorgezeichneter Entwurf des Gemäldes. Dieses Bild hat Leonardo dann auf die sehr viel größere Wand des Refektoriums übertragen - der Version des Abendmahls , die bereits in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Erschaffung anfing zu verfallen.«
    »Mindert das den Wert?« Der General ist überaus pragmatisch.
    Feduns langgezogenes Gesicht wirft einen dünnen Schatten auf die Wand, der flirrt, als er den Kopf schüttelt. »Nein«, sagt er ernst. »Im Gegenteil, der Wert dieses Werkes ist wahrscheinlich unschätzbar. Es ist unbezahlbar.«
    »Welchen Beweis haben wir, dass dies Da Vincis Werk ist?«
    »Im Oktober des Jahres 1499 sah König Ludwig XII. von Frankreich das Wandgemälde in Mailand. Er war so ergriffen, dass er versuchte, die ganze Wand zu kaufen und mit nach Frankreich zu nehmen. Dies alles ist unter Historikern bestens
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