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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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herauszufinden.
    Vorsichtig schließe ich die Kiste und lasse die Schnalle zuschnappen. »Rufen Sie einen Wagen«, instruiere ich Dubinin.
    Er tippt eine Nummer in ein Handy. »Wohin fahren wir?«, fragt er an der Sprechmuschel vorbei.
    »Ins Puschkin-Museum für bildende Künste.«

49
    Das Puschkin-Museum liegt etwas südwestlich vom Kreml. Wie auch in der Eremitage werden dort nach langen Phasen des Ableugnens und der in Russland so verbreiteten Fehlinformationen gelegentlich Kunstschätze enthüllt, die die Rote Armee seinerzeit in Deutschland in ihren Besitz nahm. Gold aus dem antiken Troja, im neunzehnten Jahrhundert von einem deutschen Archäologen entdeckt. Werke von Degas, Renoir, Goya, El Greco und Tintoretto. Andere werden weiter versteckt gehalten - eine wahre Fundgrube, aus der man sich immer mal wieder bedienen kann, wenn man Geld braucht. Das Puschkin-Museum ist genau der richtige Ort für die Leda und, wenn sie existiert, ihre heimliche Begleiterin. Deswegen guckt Dubinin sicherlich auch so entsetzt, als ich dem Fahrer ein Zeichen gebe, am Museum vorbeizufahren.
    »Wohin fahren wir?«, fragt Dubinin.
    Ohne auf seine Frage einzugehen, rufe ich den General an. »Wir sind fast da.«
    Das Roerich-Museum liegt an der Malyi-Znamenskii-Straße, relativ einsam, verglichen mit dem sehr viel illustreren Puschkin-Museum. Nicholas Roerich war ein russischer Maler, der einen Großteil seines Lebens im sibirischen Altai-Gebirge verbrachte und Landschaften und mythologische Szenen malte. Hundert Jahre später erfreut er sich internationaler Beliebtheit, aber sein Museum ist unbekannt genug, um die Beutekunst des Generals zu beherbergen.
    Ich tippe dem Fahrer auf die Schulter und zeige auf zwei Eisentüren, die sich im selben Moment für uns öffnen. Dubinins Überraschung über unser wahres Ziel befriedigt mich auf kindische Weise.
    Im Innenhof lasse ich den Fahrer vor einer Tür halten, die von einem der Männer des Generals bewacht wird. Dubinin und der Fahrer holen die Metallkiste aus dem Van und folgen mir. Die Tür führt in ein Treppenhaus, zwei Treppen weiter unten gelangen wir in ein Kellergeschoss, das, soviel weiß ich von meinen früheren Besuchen, durch eine Mauer vom eigentlichen Museum getrennt ist. Der Keller ist hell erleuchtet. Speziallampen strahlen auf einen angewinkelten Zeichentisch, der als Unterlage dient, einen Labortisch mit Mikroskop, Bunsenbrenner, Dias und verstreuten Papieren, und einen unaufgeräumten Schreibtisch in der Ecke. Diverse verschlossene Türen führen zu anderen Räumen.
    Der General steht vor dem Zeichentisch, die Arme hinterm Rücken verschränkt. Medaillen glänzen zwischen den bunten Bändern auf seiner vorgestreckten Brust. Sein plumpes Kinn zeigt auf einen Mann in einem weißen Laborkittel neben dem Schreibtisch in der Ecke. »Das ist Suljan Fedun. Er wird uns dabei helfen, das Bild zu analysieren.«
    Feduns langes dünnes Gesicht zuckt. Er ist locker zwei Meter groß und überragt den General auf etwas unglückliche Weise. Ich bin sicher, dass der General angesichts seiner Machtstellung diesen Banalitäten gegenüber unempfindlich ist. Feduns blasse Haut ist rot gefleckt, ob von Muttermalen oder Nervosität kann ich nicht sagen. Seine langen Finger hantieren unablässig am Aufschlag seines Kittels. Seine Angst ist nicht unbegründet. Wie viele Menschen werden mit diesem Geheimnis leben dürfen?
    »Machen Sie den Tisch frei«, sage ich zu ihm. Meine Stimme rasselt vor Müdigkeit und Schmerz. Erschrocken macht der schlaksige Mann sich an die Arbeit. Eilig räumt er Gegenstände vom Labortisch, lässt einen Stapel Glasdias fallen und steht dann da und wartet darauf, dass ihm jemand sagt, was er tun soll.
    »Bewegen Sie sich, Mann!«, brüllt der General, und Fedun gehorcht wieselnd.
    Als die Kiste sicher auf dem Tisch liegt, öffnet Dubinin den Deckel und die Leda liegt vor uns.
    »Sss.« Mit aufgerissenen Augen zieht Fedun die Luft ein.
    Der General schenkt dem Bild kaum Beachtung. »Wie lange dauert es, bis wir wissen, ob sich darunter noch etwas anderes befindet?«
    Fedun muss schlucken. »Ich weiß nicht. Stunden. Vielleicht ein oder zwei Tage.«
    »Bleiben Sie bei den Bildern«, sagt der General zu Dubinin. Zu mir sagt er: »Geh schlafen.«
    Ich wende mich an Fedun: »Haben Sie ein Bett hier?«
    »Ja.«
    »Ich schlafe hier.«
     
    Dubinin rüttelt mich wach. »Fedun hat etwas gefunden.«
    Meine Uhr zeigt 3 Uhr 30. Ich habe mehr als zehn Stunden geschlafen. Ich
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