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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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Stück Stoff durch den Tunnel schiebt, den die Kugel hinterlassen hat. Vadim ist kein Arzt, aber er hat einen Großteil seines Lebens im Krieg und im Gefängnis verbracht, also fällt diese Verletzung durchaus in seinen Bereich. Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht zu wimmern.
    Als er mit dem Bein fertig ist, nimmt er sich mein von Peter zugerichtetes Gesicht vor. Dann sammelt er seine Sachen ein und stellt einen Plastikbeutel auf den Tisch. »Die hier sind gegen Schmerzen und Entzündung«, sagt er widerwillig. »Ich bin oben, falls du mich brauchst.«
    »Was ist los?«
    Er schüttelt den Kopf, ohne mich anzusehen. »Ich habe mit Valja gesprochen.« Er tritt auf die Treppe. »Du bist ein Idiot, Alexei. Das Loch in deinem Bein wird verheilen. Das in deinem Herzen wird für immer bluten.«
    Als er weg ist, rolle ich mich in der Ecke hinter meinem Tisch zusammen. Sobald ich die Augen schließe, dreht sich alles, eine Nachwirkung der Session mit Mascha. Das Intermezzo mit dem fallenden Hausmeister wiederholt sich nicht. Aber Valja taucht am Rande meiner Wahrnehmung auf, sie wird immer kleiner, ihre riesigen pechschwarzen Augen blicken flehend.
    Ich muss lernen, meine Visionen zu interpretieren, statt mich von ihnen schwächen zu lassen. Ich konzentriere mich aufs Business. Auf den General, auf Maxim - ein gutes Paar. Dann falle ich in einen unruhigen Schlaf.
    Die Antwort kommt in Begleitung meiner üblichen Albträume von den Gesichtern der Toten und Sterbenden. Sofia Alexejewna schläft unruhig und schweißbedeckt. Die Sterne leuchten durch ihr Fenster und schimmern auf dem blanken Steinfußboden neben ihrem Bett.
    Ich weiß nicht, wie spät es ist, als meine Augen mit einem Mal aufklappen wie eine hochgezogene Sonnenbrille. Im Keller ist es dunkel. Ich wähle die Kurzwahl auf dem Nokia.
    »Was?« Der General klingt müde.
    Meine Uhr zeigt 3 Uhr 30. Der Gedanke, ihn vielleicht geweckt zu haben, erschreckt mich. »Ich brauche alle Arbeitsaufträge im Zusammenhang mit dem Neujungfrauenkloster.«
    »Wie lange zurückliegend?« Sollte ich ihn tatsächlich geweckt haben, ist er bemerkenswert schnell bei der Sache. Seine Stimme klingt jetzt wach und zackig.
    »Zwei Monate«, antworte ich.
    Er legt auf. Ich sacke gegen die Wand. Versuche, mich an meinen Traum zu erinnern. Die Bilder sind verschwommen, sie haben ihre durch die Drogen hervorgerufene Deutlichkeit verloren. Aber ich sehe immer noch genug. Die fünf Kuppeln der Smolensker Kathedrale. Sofia, die aus dem Fenster ihres Gefängnisses starrt. Ein rundes diamantgeschliffenes Sägeblatt auf dem Fußboden in Orlans Galerie. Er muss es als Erster herausgefunden haben. Kurz bevor er starb. Zehn Minuten später klingelt das Nokia.
    »Ich habe die Anforderungen auf dem Computer«, sagt der General. »Wonach suchen wir?«
    »Nach einem Auftrag, bei dem man die Bilder hätte verstecken können.«
    Tastaturgeräusche. »Zwölfter Juni«, sagt er. »Neun Tage nachdem der Hausmeister den Zug nach Moskau nahm. In den Nonnenzellen wurde ein Teil des Bodens erneuert.«
    Wie ein elektrischer Schlag durchfährt es mich.
    »Die genaue Stelle ist auf einer Zeichnung festgehalten«, sagt er.
    »Schicken Sie Dubinin und ein paar Männer mit der Zeichnung ins Kloster. Sagen Sie ihnen, sie sollen Werkzeug zum Graben mitbringen, und etwas, mit dem man durch Stein schneiden kann.«

48
    Dubinin und fünf Soldaten warten unter gelblichem Licht vor der Torkirche. Kaum bin ich ausgestiegen, saust Vadim mit dem Mercedes davon. Er will nicht, dass die Soldaten sein Gesicht sehen.
    Dubinin führt uns durchs Kloster. Derselbe runzlige Priester schlurft mit uns dieselbe steile Treppe hoch und in denselben Raum mit der barocken Kommode. Als Dubinin die Kommode beiseite schiebt, kommt in der Ecke ein Stück Boden zum Vorschein, wo die Fugen zwischen den Steinplatten dunkler sind. Während einer seiner Männer Generator und Lampe aufbaut, zieht er einen zusammengefalteten Plan aus der Uniform. Das Licht geht an und brennt mir in den Augen.
    »Hier«, sagt er und zeigt mit der freien Hand auf die Zeichnung. »Das ist die Stelle.«
    Ich sehe dem Priester in die Augen. »Wer hat den Auftrag erteilt?«
    Er starrt trotzig zurück. »Ich.«
    »Warum?«
    »Um meinem Freund Felix Kuwaldin einen Gefallen zu tun.«
    »Sie wussten es also. Sie wussten es die ganze Zeit.«
    Er antwortet nicht, was Antwort genug ist. Seine Lippen zittern, aber sein Blick bleibt aufsässig.
    Ich setze mich aufs Bett und lehne mich
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