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Russendisko

Titel: Russendisko
Autoren: Kaminer,Wladimir
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und sahen uns »Missing in Action« auf Pro Sieben an. Auf dem Bildschirm verbreitete Chuck Norris, der wegen seiner in Südostasien verschollenen Familie stinksauer war, wieder einmal Tod und Schrecken unter den Vietnamesen. Unser Haus in der Schönhauser Allee ist zur Hälfte von Vietnamesen und zur Hälfte von Latinos bewohnt, die nicht müde werden, zu »Guantanamera« zu tanzen. Es ist ziemlich laut bei uns im Haus und draußen sowieso. Im Fernsehen brachte Chuck Norris gerade die Vietnamesen im Dutzend zur Strecke, die sich das jedoch nicht ohne weiteres gefallen ließen und zurück ballerten. Über uns tobten die Latinos, wieder und wieder legten sie »Guantanamera« auf. Draußen fuhren glückliche Zugführer die letzten U-Bahnen ins
    Depot. Irgendwann knallte es auf dem Hof. Es fiel nicht besonders auf.
    Columbo nimmt das wahrscheinlich alles viel zu ernst. Er ist seither jede Woche bei uns auf dem Hof zu sehen. Er läuft hin und her, misst die Entfernungen aus und stochert im Laub. Manchmal bleibt er in einer Ecke stehen und schaut nachdenklich in den Himmel. Immer wieder besucht er auch jemanden im Haus. Von Tag zu Tag weiß er mehr über uns, nun ist ihm sogar die Farbe meiner Unterhosen kein Geheimnis mehr. »Vielleicht war es ein Luftgewehr?«, versuche ich zaghaft seinen Fall herunter zu spielen. »Dann muss es aber ein verdammt großes Luftgewehr gewesen sein!«, erwidert er und kneift beleidigt ein Auge zusammen.
    Man sieht ihm an, dass er dem Täter bereits dicht auf der Spur ist. »Haben Sie irgendetwas Merkwürdiges bemerkt in der letzten Zeit?«, fragt er uns. Schon mit dieser einfachen Frage schafft er es, mich in Verlegenheit zu stürzen. Wie soll ich ihm erklären, dass in unserem Haus fast alle Mieter wie verdammte Amokläufer aussehen? Nein, davon erzähle ich Columbo nichts. Ich schweige lieber. Und tue so, als würde ich über »Merkwürdiges« nachdenken: »Nein, eigentlich habe ich nichts bemerkt.« Der Inspektor verabschiedet sich: »Hier, meine Karte.« An der Tür bleibt er noch einmal stehen. »Ach, übrigens das habe ich ganz vergessen: Gehört der Kinderwagen unten auf dem Hof Ihnen?« »Nein, der gehört uns nicht.« Das habe ich ihm schon einmal gesagt, aus Versehen, und jetzt muss ich eisern bei dieser Version bleiben. Als er weg ist, bitte ich meine Frau, sich für den Fall seiner Rückkehr zu merken, dass unser Kinderwagen auf dem Hof nicht uns gehört. Kurz darauf beginnt es draußen zu schneien. Ich schaue aus dem Fenster. Columbo ist schon wieder auf dem Hof - und freut sich. Er freut sich! Ich kann den Grund seiner Freude nachvollziehen, bald ist es Winter und überall wird Schnee liegen, in dem die Verbrecher ihre Spuren hinterlassen. Nun
    wird er uns alle, früher oder später, erwischen.
    Stadtf ü hrer Berlin
    Seit einiger Zeit gilt Berlin in den russischen Reisebüros als eine Art Geheimtipp für Reiche. Man könne sich dort mörderisch amüsieren, heißt es. In einem russischen Stadtführer von Berlin werben die Reiseveranstalter mit dem Slogan »Hissen Sie Ihre ganz persönliche Flagge auf dem neuen Deutschen Reichstag - Berlin erleben und erobern!« Mein alter Freund Sascha, der an der Humboldt-Universität Germanistik studiert, bekam neulich den Auftrag, einen dieser russischen Berlin-Stadtführer zu aktualisieren. Nichts Dramatisches, nur ein paar frische Geheimtipps wie Potsdamer Platz und Ähnliches. Verzweifelt kam er zu mir. Die reichen Russen haben wenig Zeit, deswegen sind in den alten Stadtführern meist nur Eintage-, höchstens Dreitagesreisen eingeplant. Alles muss schnell gehen. Bei einer Fünftagereise für besonders pedantische Touristen wird der Reisende sogar zum Teufel geschickt, nämlich nach Potsdam - raus aus Berlin. »Eine herrliche Landschaft mit vielen Skulpturen, Imbissen und Wasserfällen« ist über Potsdam in der russischen Ausgabe zu lesen. »Besonders zu empfehlen ist das Schloss Sanssouci, das 1744 von König Friedrich II. erbaut wurde. Auch lohnt sich ein Besuch der dortigen Kantine, die gegrillte Schweine mit Speckklößen und Apfelrotkraut anbietet. Die Bildergalerie im Schloss ist ebenfalls sehenswert, dort hängen einige echte Caravaggios und Raffaels, die jedoch nicht zu verkaufen sind. Achtung: Trinken Sie auch bei starkem Durst nicht aus dem Wasserfall, es könnte zu Erkrankungen führen.« Die Angaben zu den kürzeren Reisen sind in demselben Ton verfasst, einer Mischung aus pathetischem Kunstbuch und sorgsam gestrickter
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