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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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die wundersamerweise
die zahllosen Fahrten über die vielen Meere heil überdauert hatten, entnahm ihm ein Paar opalisierender Murano-Schwenker und schenkte einen reichlich bemessenen Schluck Branntwein ein. Der blinde Passagier näherte sich und hob das Glas. Lord Hauksbank genoss das
schwere Aroma, dann trank er. «Ihr seid aus Florenz»,
sagte er, «also seid Ihr mit der Majestät des allerhöchsten
Souveräns vertraut, des menschlichen Ichs, und auch mit
seinen Begierden, die es zu stillen sucht, der Sehnsucht
nach Schönheit, nach Wertvollem - und nach der Liebe.»
Der Mann, der sich «Uccello» nannte, wollte antworten,
doch hob Hauksbank eine Hand. «Lasst mich ausreden»,
fuhr er fort, «denn es gibt Dinge zu besprechen, von denen Eure fähigsten Philosophen nichts wissen. Das Ich
mag in seiner Majestät königlich sein, doch hungert es
wie der Ärmste der Armen. Einen Moment lang mag der
Anblick solch heimlicher Wunder wie diese hier es sättigen, doch bleibt es ein notleidendes, hungerndes, dürstendes Ding. Darüber hinaus ist es ein bedrohter Monarch, ein auf ewig der Gnade vieler Insurgenten ausgesetzter Souverän, der Angst etwa oder der Sorge, der Einsamkeit wie der Konfusion, zudem eines seltsam unaussprechlichen Stolzes und einer wilden, stummen Scham.
Das Ich ist von Geheimnissen umlagert, immerzu nagen
sie an ihm, Geheimnisse führen zum Untergang seines
Reiches und werfen sein Zepter zerbrochen in den Staub.
Ich sehe, ich verwirre Euch», seufzte er, «also will ich
mich deutlich zu erkennen geben. Das Geheimnis, das Ihr
niemals verraten dürft, ist keineswegs in diesem Kästchen verborgen. Es liegt - nein, liegen tut es nun wirklich
nicht hier drinnen! »
Der Florentiner, der das Geheimnis des Lord Hauksbank
bereits seit einer Weile erraten hatte, bekundete mit ernster Miene angemessenen Respekt vor Länge und Umfang des fleckigen Gliedes, das dort vor ihm auf Seiner
Lordschaft Tisch lag und zart nach Fenchel roch, beinahe
wie eine finocchiona-Wurst, die darauf wartete, zerteilt
zu werden. «Wolltet Ihr die See aufgeben und in meiner
Heimatstadt wohnen», sagte er, «hätten Eure Schwierigkeiten bald ein Ende, denn unter den jungen Galanen von
San Lorenzo fände sich gewiss, was Ihr sucht. Ich aber,
bedauerlicherweise … »
«Trinkt aus», befahl der schottische Lord mit dunkelrotem Gesicht und richtete sich wieder züchtig her. «Verlieren wir kein Wort mehr darüber.» Da war ein Glitzern
in seinem Auge, das sein Gegenüber dort lieber nicht
gesehen hätte. Und die Hand war dem Schwertknauf näher, als es dem Florentiner lieb sein konnte, das Grinsen
fratzenhaft starr.
    Es folgte ein langes, einsames Schweigen, und der blinde
Passagier begriff, dass sein Schicksal an einem seidenen
Faden hing. Gleich darauf leerte Hauksbank das Glas und
stieß ein hässliches, gequältes Lachen aus. «Sir», rief er,
«nun kennt Ihr mein Geheimnis, jetzt aber müsst Ihr mir
Eures anvertrauen, denn Ihr tragt gewiss eines in Euch,
das ich närrischerweise für mein eigenes hielt. Also heraus damit!»
Der Mann, der sich «Uccello de Firenze» nannte, wollte
das Thema wechseln. «Mylord, mögt Ihr mir nicht die
Ehre erweisen, mir zu erzählen, wie Ihr unter Drake die
Schatzgaleone Cacafuego aufgebracht habt? Und wart Ihr
nicht - bestimmt wart Ihr das mit Drake bei Valparaiso
und Nombre de Dios, als er verwundet wurde…?»
Hauksbank zerschmetterte sein Glas an der Kajütenwand
und zog das Schwert. «Schurke», rief er. «Sterbt oder
antwortet mir auf der Stelle!»
    Der blinde Passagier wählte seine Worte mit Bedacht.
«Mylord», sagte er, «erst jetzt verstehe ich, dass mein
Weg mich hierher führte, damit ich Euch meine Dienste
als Euer Faktotum andiene. Doch ist auch wahr», fügte er
rasch hinzu, als die blanke Klinge über seine Kehle
strich, «dass ich noch ein anderes Ziel verfolge. Ich bin
gewissermaßen, was Ihr einen Mann auf der Suche nennen mögt - mehr noch, ein Mann auf einer geheimen Suche -, doch muss ich Euch zur Warnung mitteilen, dass
meinem Geheimnis ein Fluch anhaftet, der Fluch der
mächtigsten Zauberin ihrer Zeit. Nur einem einzigen
Mann kann ich dieses Geheimnis anvertrauen, ohne dass
er sein Leben verliert, und ich möchte für Euren Tod
nicht verantwortlich sein.»
    Lord Hauksbank vom ürte gleichen Namens lachte erneut, doch war es diesmal kein hässliches Lachen, sondern ein Lachen sich verflüchtigender Wolken und wiederkehrenden Sonnenscheins.
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