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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Autoren: Willibald Alexis
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    Walter ward durch einen lauten Aufschrei unterbrochen, der durch die Stimmen von Tausenden immer neu anwuchs. Das waren Laute des Schmerzes, aber auch der Freude – »Die Königin! die Königin!« In der Entfernung, bog ein Reisewagen um die Straßenecke. Thränen, Schluchzen, Jubelrufe! Es war in dem Gewirr nichts zu verstehen. Ein Tuch, ein Arm wehte heraus. Die Beiden, die sich eben gefunden, wurden wieder getrennt. Jeder hatte ein anderes Ziel. Aber die Stimmung schien sich geändert zu haben. Der Anblick der Königin hatte gewirkt. Der alte Rittgarten traf auf entschlossene Gesichter. Kernworte, Flüche! Da schüttelte Einer seinen markigen Arm. Rittgarten ergriff ihn. Er sprach Worte, die zum Herzen drangen. Als sie das Hotel des Ministers erreicht, hatte sich die Zahl bedeutend verstärkt; es waren kräftige Männer, alte Soldaten darunter. Wuth und Freude strahlte auf den Gesichtern.
    Wo war die alte Ordnung, die heilige Ruhe, wenn man berußte Arme, Schurzfelle auf den Treppen sah, Einige sogar bis in das innere Heiligthum gedrungen. Es musste hier schon viel vorgegangen sein, wenn wir den Minister, denselben, welcher den jungen Walter nach Karlsbad schicken wollte, zwischen diesen, selbst für die Antichambre ungeeigneten Gestalten umhergehen sehen, ohne daß sein Auge Blicke der Entrüstung warf. Nein, er trug weder Uniform noch Hofkleid, auch keinen Stern an der Brust, er ging nicht aufrecht und die Stirn leuchtete nicht vom Widerschein seiner unantastbaren Würde. »Meine lieben Freunde!« sprach er, zwischen den Eingedrungenen sich bewegend. Seine feinen aristokratischen Hände, stets in einer Position erhalten, die sie vor jeder Berührung schützen sollte, berührten doch freiwillig die Arme der Bürger, er drückte dem Nagelschmied die Hand, er legte sie dem patriotischen Stadtwachtmeister auf die Schulter: »Mein liebster guter Freund, nur keine Uebereilung.«
    »Aber, Excellenz, sie stürmen Ihnen das Haus!« riefen drei, vier Stimmen. Der Hausflur war voll, die halbe Treppe, sie drängten von außen, Andere standen im Hofe und gafften mit hässlichen Blicken die Reisewagen an, die in Hast bepackt wurden. Die Excellenz beugte sich übers Geländer, sie rang die Hände, es war der mildeste, freundlichste Ton: »Um Gottes Willen, meine Freunde, keine Uebereilung! Was wollen Sie?« Da brach es los, wie, ich weiß es nicht; es war aber das Unglück, daß Keiner wusste, was er wissen sollte. Es war die Wuth, die in hundert Lauten sich Luft machte. »Wir sind verrathen!« – »Der König und die Königin sind verrathen!« – »Das Vaterland ist in Gefahr« – »Die Franzosen sind vor der Thür!«
    »Ja, ja, meine lieben Freunde, um Gottes Willen ja, es ist wahr, wir sind Alle in Gefahr – aber was wollt Ihr was sollen wir thun?« Die im Hofe zeigten auf die bepackten Reisewagen: »Er kratzt aus, uns lässt er im Stich.« Ein höhnisches Gelächter verschlimmerte die Lage der Autorität, die es nicht mehr war. Da ward der Ruf laut: »Widerstand! Waffen! Ein Schuft, wer seinen König verlässt!«
    »Um Gottes Willen, verehrte Mitbürger! Ich beschwöre Sie, bedenken Sie Ihre Familien, Ihre lieben Kinder, Ihre Lage, diese Stadt! Es ist ein Unglück, ja ein großes, ein unermessliches Unglück, unsre Armee ist geschlagen, total geschlagen, wir wissen nicht wo sie ist. Wo eine so tapfere Armee erliegen musste, ist es Thorheit, ich beschwöre Sie, es ist Raserei an den geringsten Widerstand noch zu denken.« – »War's Thorheit,« rief eine Stimme, es war der alte Rittgarten, »als Haddick in unsre Straßen sprengte, daß die Berliner nicht zu Kreuz krochen? Raserei, daß sie Schanzen aufwarfen, daß wer eine Muskete tragen konnte, der Trommel folgte, als die Russen ihre Kugeln in die Friedrichsstadt warfen? Des Königs Hauptstadt ward gerettet!« – »Meine lieben, theuren Mitbürger, bedenken Sie doch die veränderten Verhältnisse. Wer war Haddick, wer die Russen! Der Kaiser Napoleon ist unüberwindlich. Sie waren selbst Militär. O erklären Sie Ihren Mitbürgern, daß aller Patriotismus und alle Bravour gegen ein disziplinirtes Heer nichts ausrichten. O mein Gott, stehn Sie mir doch bei, diese braven, rechtlichen, unsere Mitbürger vor einer entsetzlichen Verirrung zu bewahren.«
    »Excellenz,« erwiderte Rittgarten, »eine Schlacht können wir den Franzosen nicht liefern, noch besteht Bürger und Bauer vor Denen, die den Krieg erlernt. Das weiß ein Kind. Aber hier gilt's, was Keiner
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