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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits
Autoren: John Harwood
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Sie Ihre Angestellte noch nach dem Kleid fragen könnten   …?»
     
    ∗∗∗
     
    In dieser Nacht verfolgte mich alles, was ich je von den Grauen der Kerkerhaft gelesen hatte: das Zuschlagen von Eisentüren, Kettenrasseln, Dunkelheit, Kälte, Dreck, unbeschreiblicher Gestank, die Schreie meiner Mitgefangenen, das Geschrei des Pöbels, während ich schon mit der Kapuze zum Scheiterhaufen geschleift wurde   … Als ich endlich aus diesen entsetzlichen Träumen erwachte, blieb ich liegen, bis die Dämmerung sich zu einem weiteren wundervollen Sonnentag erhellte, und wartete darauf, dass die Polizei an die Tür hämmern würde. Ich hatte Edwin versprochen, um zwei Uhr wieder im Park zu sein. Ich musste ihn mit der ersten Post wissenlassen, was ich getan hatte und warum ich nicht kommen konnte. Danach schien das einzig Sinnvolle, zu versuchen, nochmals einzuschlafen, bis Dora kam, um mir zu sagen, dass eine Dame, die sie nie zuvor gesehen hatte, nach mir gefragt habe. Sie habe nicht hereinkommen wollen, sie wolle mich unter vier Augen sprechen und würde bei den Bänken auf der Anhöhe von Primrose Hill warten.
    Mein Herz klopfte wild, als ich die Treppe hinunterschlich, durch das Gartentor hinausging und über das nasse Gras, in dem Tautropfen wie Diamanten in der Sonne glitzerten, den Hügel bis zur Kuppe hinaufstieg. Dort sah ich eine Frau in einem dunkelblauen Kleid, den Reiseumhang hatte sie über den Sitz neben sich ausgebreitet: Es war die ausgemergelte Frau mit den eindrucksvollen Gesichtszügen, die mir in Ada Woodwards Haus geöffnet hatte. Sie stand auf, als ich näher kam, und ich sah, dass sie sehr blass war.
    «Miss Langton – so treffen wir uns wieder. Mein Name ist – oder war, bis gestern Abend   – Helen Northcote, aber ich glaube, Sie kennen mich besser als Eleanor Wraxford.»
    Ich blickte sie an, unfähig zu sprechen, und sog förmlich jedes Detail ihrer Erscheinung in mich auf. Ihre Augen hatten einen Stich ins Braune mit grünen Sprenkeln. Und ihre Stimme hatte sich verändert, sie klang tiefer und etwas lieblicher,als ich es in Erinnerung hatte: Der Yorkshire-Akzent war gewichen.
    «Als Ada mir erzählte, was Sie gesagt hatten – und vor allem, nachdem wir die Nachrichten in den Zeitungen gelesen hatten   –, wusste ich, dass ich Sie nicht im Stich lassen konnte, koste es, was es wolle. Wir kamen gestern nach London, aber bei Scotland Yard sagte man uns, dass sich der Leichnam noch im Leichenschauhaus von Woodbridge befinde. Wir konnten sie erst am späten Nachmittag dazu überreden, uns nach Woodbridge zu bringen. Wir identifizierten den Leichnam als Magnus Wraxford, aber sie nahmen uns erst ernst, als ich ihnen meinen wirklichen Namen nannte. Wir mussten warten, bis die Polizei in Woodbridge ein Telegramm nach London geschickt hatte, und uns dann wieder zu Scotland Yard begeben, wo uns Kommissar Garret verhörte, dessen Bekanntschaft Sie wohl gemacht haben. Aber ich glaube nicht, dass er Sie noch einmal aufsuchen wird. Er sei zu dem Schluss gekommen – so erzählte er uns jedenfalls   –, dass Magnus das Herrenhaus habe in die Luft sprengen wollen und bei der vorzeitigen Explosion getötet wurde.»
    Ich musste unweigerlich darüber lächeln, dass sich der Kommissar einer These bediente, die er wenige Stunden zuvor noch als Irrsinn abgetan hatte.
    «Und dann war es viel zu spät», fuhr sie fort, «um noch bei Ihnen vorbeizukommen. Ada bedauert, dass sie nicht hier sein kann; sie musste den Frühzug nach Hause nehmen.»
    «Und – oh, bitte, nennen Sie mich Constance – akzeptiert die Polizei denn jetzt, dass Sie vollkommen unschuldig waren?»
    «Ja, das tut sie. Es ist ein eigenartiges Gefühl, nachdem ich mich seit zwanzig Jahren stets auf das Schlimmste gefasst machte   … Aber ehe ich mehr erzähle – wirst du mir deine Geschichte erzählen? Nachdem du mit der meinen ja sehr gut vertraut bist?»
    Und so, angefangen bei Almas Tod, erweckte ich im Erzählendie Reise wieder zum Leben, die mich hierhergebracht hatte. Ich beobachtete dabei den Wechsel der Gefühle, der sich in ihrer Mimik abzeichnete, während die Sonne höher stieg über den Abertausenden von Häusern, die sich bis zum Horizont erstreckten. Dann kam ich in meiner Erzählung bei meinem gestrigen Besuch in der Hertford Street an, bei meiner Verlobung mit Edwin und den Schrecken der letzten Nacht, die nun vertrieben waren.
    «Ich verstehe», sagte sie schließlich, «warum du glaubtest, du könntest meine Tochter
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