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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits
Autoren: John Harwood
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sein, und warum du es wünschtest. Und wenn ich Clara weggegeben hätte, wie du annahmst, würde ich es auch glauben. Nicht nur, weil du mich so sehr an mich in jungen Jahren erinnerst, sondern wegen der Seelenverwandtschaft, die dich zu mir brachte. Aber du bist nicht meine Tochter. Clara ist am Leben, und es geht ihr gut. Ich glaube, du hast sie gesehen, kurz bevor ich die Türe schloss, was ich um ihretwillen für nötig hielt. Sie heißt Laura Woodward, und sie hat immer geglaubt, dass Ada ihre Mutter ist.»
    Tränen traten mir in die Augen, obwohl ich versuchte sie fortzublinzeln. Sie nahm meine Hand und streichelte sanft meine Finger.
    «Ich hatte keine Wahl, weißt du. Alles – beinahe alles – trug sich so zu, wie du es erahnt hast. Als Lucy und ich Munster Square zum letzten Mal mit Clara verließen, kam sie nicht mit mir nach Shoreditch, wie ich später in dem Tagebuch schrieb. Ich setzte sie in eine Kutsche nach Paddington, während ich nach St Pancras fuhr, wo Ada mich erwartete. Alles war vorbereitet. Sie schrieb mir postlagernd an ein schmuddeliges kleines Postamt in Marylebone, bei dem ich sicher sein konnte, dass Magnus niemals hingehen würde. George war da noch nicht in Whitby, er lebte vorübergehend in Helmsley, dreißig Meilen entfernt, und dorthin brachte Ada Clara, während ich mich nach Wraxford Hall begab.
    In der Nacht, als Mrs   Bryant starb, ging ich nicht in die Galerie.Ich hatte es vor, aber am Ende verließ mich doch der Mut – vielleicht war es besser so   –, und ich brauchte ja alle Kraft für die Flucht. Am nächsten Morgen verließ ich Wraxford Hall in der Dämmerung, in einem Gewand und mit einer Haube von Lucy. So viel schauspielern konnte ich, dass man mich für ein Dienstmädchen hielt. Es wäre zu gefährlich gewesen, mich direkt nach Yorkshire zu begeben, und so reservierte ich ein Zimmer in einem Hotel in Lincoln unter dem Namen Helen Northcote. Dort war ich noch, als die Zeitungen die ersten Berichte abdruckten und mir klarwurde, dass Magnus die ganze Zeit, während deren ich meine Flucht geplant hatte, meinen Henkersknoten vorbereitet hatte.
    Ich wusste nicht, ob ich dem würde entrinnen können, aber ich war fest entschlossen, Clara zu retten. Und so wurde Ada – aufgrund meiner Beharrlichkeit   – Lauras Mutter. Die Hausangestellten in Helmsley dachten, Laura wäre ihr Pflegekind. Erst als George ein Jahr später die Stelle in Whitby angeboten wurde, begann sie von Laura als ihrem eigenen Kind zu sprechen, was niemand in Frage stellte. Ada setzte ein Empfehlungsschreiben für Helen Northcote auf, und nach einem Jahr als Haushälterin in Chester – das längste meines Lebens – kam ich nach Whitby, um Ada Gesellschaft zu leisten.
    Und nun kommt es wohl, wie es kommen muss», sagte sie traurig. «Alle Welt wird nur zu bald wissen, wer ich bin, und ich weiß nicht, wie ich es vor Laura verbergen könnte. Sie wird wissen wollen, was aus Clara Wraxford wurde, und sie ist – wie du – viel zu klug, um nicht die Wahrheit zu erahnen.»
    «Es gäbe die Möglichkeit», sagte ich vorsichtig, «dass du mich als Clara ausgibst. Du könntest sagen, du habest mich weggegeben – wie du Clara an Ada gegeben hast   –, um mich zu schützen, und nun hätten wir einander wiedergefunden. Laura könnte weiter Adas Tochter sein, und   … ich wünschte, ich könnte dich als Mutter haben. Ich würde es keiner Menschenseele verraten, das verspreche ich, und Laura könnte meineSchwester sein   …» Meine Stimme wurde von Tränen erstickt. Sie nahm mich in die Arme, strich mir über den Kopf und murmelte die wortlosen Laute des Trostes, nach denen ich mich bei meiner eigenen Mutter immer so gesehnt hatte. Ich konnte nicht aufhören zu weinen, bis ihre Schulter schon ganz nass von Tränen war, ich still in ihren Armen lag, die Wärme der Sonne auf meinem Rücken spürte und wünschte, dieser Augenblick würde ewig dauern. Schließlich blickte ich auf und sah, dass sie mich anlächelte.
    «Constance», sagte sie. «Du warst bereit, meinetwegen ins Gefängnis zu gehen, du hast dein Leben für mich aufs Spiel gesetzt, du kennst mich in gewisser Weise weit besser als Laura. Deine Mutter zu werden ist das Geringste, was ich für dich tun kann. Und Laura hat sich immer eine Schwester gewünscht – ihr Leben war einsamer, als wir es uns vorgestellt hatten   –, und ich weiß, dass sie dich lieben wird, wie wir alle es tun werden. Ich werde natürlich mit Ada sprechen müssen, aber
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