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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits
Autoren: John Harwood
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Hall» war der Länge nach offensichtlich im Ärger mit einem dicken Bleistiftstrich markiert worden. Die Sätze verschwammen vor meinen Augen: «Doktor James Davenant, Mitglied der Royal Society   … folgende Untersuchung der Gesellschaft für die Erforschung der Psyche   … heftige Explosion   … unbekannte Ursache   … heftig beschädigt   … grauenhafte Entdeckung. Unseren Informationen nach war die Besitzerin, Miss Langton, zum Zeitpunkt der Explosion zugegen und kam mit dem Leben davon   … Wie sich die Leser erinnern werden, war Wraxford Hall im Herbst 1868 der Schauplatz eines berüchtigten Mordes   … Doktor Magnus Wraxford   … Mrs   Wraxford und ihr Kind   … verschwanden   … Verdacht   …»
    Ich legte die Zeitung beiseite, plötzlich voller Sehnsuchtnach Edwin. Aber solange ich nicht beweisen konnte, dass ich nicht einen unschuldigen Menschen getötet hatte, in seinen Augen wie in meinen, würde immer ein Schatten zwischen uns stehen. Es gab nur einen Ausweg: zu beweisen, dass Davenant Magnus war, und zwar ohne Ada Woodwards Hilfe. Trotz aller Erschöpfung kam mir der Gedanke, Davenants Adresse herauszufinden, so wie ich es mit George Woodwards Adresse getan hatte: Vielleicht hatte er eine Spur, eine Erinnerung an sein früheres Leben hinterlassen? Wenn ich sein Haus aufsuchte unter dem Vorwand des Kondolierens   …
     
    ∗∗∗
     
    Das Haus in der Hertford Street 18, Piccadilly, stand in einer langen Reihe großer, düsterer Stadthäuser aus grauem Stein. Ich ging in der Sonne auf und ab – es war einer dieser seltenen strahlenden Märztage, an denen die Luft schon so warm ist, als wäre es Mai – nahm meinen Mut zusammen, stieg die Treppe hinauf und klopfte an.
    Nach einer langen Stille wurde die Tür geöffnet von einem kleinen, weißhaarigen Mann, der Trauer trug.
    «Mein Name ist Miss Langton», sagte ich. «Ich bin die Besitzerin von Wraxford Hall und – ich dachte, ich sollte der Familie mein Beileid aussprechen.»
    «Das ist sehr freundlich von Ihnen, Miss Langton, aber es gibt leider keine Familie   – Doktor Davenant war Junggeselle und ziemlich allein auf der Welt. Mein Name ist Brotherton; ich war sein Diener.»
    «Dürfte ich vielleicht für einen Moment hereinkommen?», sagte ich. «Mir ist nicht ganz wohl» – was der Wahrheit entsprach. Mir zitterten so die Knie, dass ich kaum stehen konnte.
    «Natürlich, Miss Langton. Bitte, kommen Sie hier entlang.»
    Zwei Minuten später saß ich mit einem Glas Portwein in der Hand in einem Wohnzimmer, das etwas von einer Höhle hatte.Mr   Brotherton schlich unsicher in meiner Nähe umher. «Das muss ein furchtbarer Schock für Sie gewesen sein, Mr   Brotherton.» Ich merkte, wie ihn die Anrede «Mister» erfreute.
    «In der Tat, Miss Langton. Eine fürchterliche Geschichte. Und Sie waren während des Unfalls zugegen?»
    «Ja», sagte ich und war dankbar für das schummrige Licht. «Aber ich habe leider keine Ahnung, was die Explosion auslöste. Wir wussten noch nicht einmal, dass er im Haus war, als es geschah. Wie lange waren Sie bei ihm, wenn ich fragen darf?»
    «Zwanzig Jahre, Miss Langton – also seit er nach London kam.»
    «Und wo hatte er zuvor gelebt?»
    «Im Ausland, Miss Langton – in seiner Jugend war er viel gereist.»
    «Es hieß, er sei einmal in ein Feuer geraten?»
    «Ja, Miss Langton. Das war vor meiner Zeit. Als ich ihn das erste Mal traf, trug er selbst drinnen Handschuhe und eine Brille mit dunklen Gläsern, und er hatte einen dichten Vollbart. Er sagte, die Haut würde so schneller heilen.»
    Ich blickte mich in dem Zimmer um, meine Gedanken rasten. Wenn Magnus etwas von seiner Vergangenheit behalten
hatte,
was konnte das sein? Alle Bilder – soweit ich das in dem Dämmerlicht sehen konnte – zeigten Landschaften.
    «War Doktor Davenant ein Kenner der Malerei?», fragte ich in der Hoffnung, er würde mich durch das Haus führen.
    «Allerdings, Miss Langton. Sie interessierte ihn sehr. Wenn er nicht in seinem Arbeitszimmer war, konnte man ihn immer oben in der Galerie finden. Mr   Pritchard – der Notar meines Herrn – meinte, dass die Sammlung der Nation übergeben wird.»
    «Ihr Herr», sagte ich auf gut Glück, «erwähnte, dass er sich freuen würde, mir seine Galerie zu zeigen. Natürlich hatte ich keine Ahnung, dass ich unter so traurigen Umständen hierherkommen würde   …»
    Mr   Brotherton zog ein weißes Taschentuch aus seinem Ärmel und trocknete sich die Augen. Ich rief
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