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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits
Autoren: John Harwood
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nicht – wenn ich ihnen nicht sage, dass es Magnus war, dann wird er als Davenant begraben, und Nell wird nie befreit werden von   –»
    «Constance, um Himmels willen!
Willst
du ins Irrenhaus gesteckt werden? Wenn du der Polizei ein Wort über Magnus sagst, werde
ich
ihnen sagen, dass dein Schock zu Wahnvorstellungen geführt hat – und wem, meinst du, werden sie glauben?»
    «Dann bedeutet es dir nichts, dass wir damit ein Unrecht tun könnten?»
    «Was mir etwas bedeutet», sagte er, «ist, dich vor dir selbst zu retten – und wahrscheinlich vor dem Galgen.»
     
    ∗∗∗
     
    Es nieselte, als ich mich ein letztes Mal nach dem Herrenhaus umsah, nach dem schartigen Riss in der Seitenmauer und der Leitung, die sich wie eine Schlange über die Haufen von zertrümmertem Mauerwerk wand. Dann schloss sich die Dunkelheit des Mönchswalds um uns. Auf der Fahrt nach Woodbridge schwiegen wir fast vollständig, während sich die Kälte tiefer in meine Knochen grub. Ich stieg die Stufen zum Polizeirevier mit vollkommener Gleichgültigkeit gegen mein Schicksal hinauf. Aber anstatt mich in Ketten abzuführen, bat man mich in ein Zimmer, bot mir einen Stuhl am Feuer an und bewirtete mich, während Edwin mit dem Polizeimeister sprach, der seinen Bericht ohne weitere Fragen aufnahm. Eine Stunde später saßen wir im Zug nach London. Aber es war eine triste Fahrt. Wir wagten nicht, über das zu reden, was uns am meisten beschäftigte, und unsere Versuche einer Unterhaltung erstarben in dem Knattern und Rattern der Eisenbahnschwellen, die endlos wiederholten:
Du hast einen unschuldigen Menschen ermordet,
du hast einen unschuldigen Menschen ermordet
…, bis es mir schien, dass wir beide erleichtert waren, als wir uns trennten.
    Die Reaktion meines Onkels, nachdem er seinen Schrecken über meinen Anblick – ich kam völlig verdreckt im Elsworthy Walk an – überwunden hatte, war schlimmer, als ich befürchtet hatte. «Indem du mit Mr   Rhys alleine auf Wraxford geblieben bist», sagte er kalt, «hast du dich nicht nur in Lebensgefahr gebracht, sondern auch deinen Ruf ruiniert – was meinst du, was der Rest der Gruppe über euch sagt? – und dich selbst mit dem Tod dieses Davenant in Verbindung gebracht. Zweifelsohne werden Journalisten bei uns anklopfen. Was Mr   Rhys angeht, kannst du ihm sagen, dass er eine
persona non grata
in diesem Haus ist. Ich dachte, du hättest so etwas wie ein moralisches Bewusstsein in dir, aber ich habe mich offensichtlich tief getäuscht.»
    Dem konnte ich nur zustimmen. Ich zog mich wie ein gescholtenes Kind in mein Zimmer zurück. Trotz meiner Erschöpfung lag ich stundenlang wach und starrte ins Dunkel, bis ich es schließlich aufgab, eine Kerze anzündete und in meinem Zimmer auf und ab ging. Ich hatte schlimmere Gewissensbisse als während der Totenwache für meine Mutter. Wenn ich mir nur sicher sein könnte, dachte ich, dass es Magnus war, den ich ermordet hatte, dann könnte ich wenigstens schlafen. Sonst kann ich mich genauso gut der Polizei ausliefern – aber dadurch würde ich Edwin mit hineinziehen. Wieder und wieder durchlebte ich die entsetzlichen Minuten in Wraxford Hall, aber Zweifel beschlichen mich immer von neuem: Er
konnte
den Rückweg gefunden haben trotz des Nebels, er
konnte
den Tunnel zufällig entdeckt haben, es
konnte
sein, dass er nichts von meiner Anwesenheit gewusst hatte, bis er das Stück Stoff in der Rüstung sah   … Nein, meine einzige Hoffnung bestand darin, jemanden zu finden, der Davenant als Magnus identifizieren würde. Aber da er zwanzig Jahre lang alle Welt getäuscht hatte, musste es jemand sein, der Magnus wirklich sehr gut gekannthatte. Wenn John Montague sich nicht das Leben genommen hätte, dachte ich bitter, könnte er mich retten.
    Es gab noch einen anderen Menschen außer Nell selbst: Ada Woodward. Sie hatte mir nie geantwortet, wobei das nicht weiter verwunderlich war. Die Nachricht, dass Nell des Mordes an ihrem Kind und ihrem Mann verdächtigt wurde, musste ein Schock für sie gewesen sein. Und natürlich hatten sie sich schon zuvor auseinandergelebt. Was hatte Nell in ihrem Tagebuch geschrieben? «Und selbst wenn Ada und ich einander noch so nahe wären wie früher, sie und George könnten uns nicht aufnehmen: Clara und ich sind Magnus’ rechtmäßiger Besitz, und er würde uns früh genug zurückfordern.»
    Aber das Tagebuch war ja geschrieben, damit Magnus es fand.
Meine Gedanken waren so sehr von Erschöpfung und Kummer bestimmt,
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