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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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an. »Na ja, ich habe mich fünf Semester lang damit beschäftigt. Tatsächlich ist das hier eine meiner letzten Fahrten, dann gehe ich zurück an die Uni.«
    Soso , dachte Leon. Diesen Spruch hörte er jetzt auch schon seit vier Jahren!
    Dass er tatsächlich eingeschlafen war, merkte Leon erst, als ihn eine Hand am Arm berührte. Leon fuhr hoch wie von einem Steinfisch gestochen, sein Puls donnerte in seinen Ohren. »Mann, bist du schreckhaft«, sagte das blonde Mädchen und lächelte. »Wir sind da. Nur für den Fall, dass du aussteigen möchtest.«
    Sein Kumpel Julian hätte wahrscheinlich mit einem witzigen Spruch gekontert. Leon fiel natürlich nicht rechtzeitig etwas ein, also nickte er nur und faltete seinen langen, schlaksigen Körper vom Sitz hoch, klemmte sich seine Sachen unter den Arm und schob sich durch die Schleuse nach draußen.
    Neugierig spähte Carima durch das Frontfenster, als sie sich Benthos II näherten. Schemenhafte Umrisse traten aus dem Dunkel hervor, nur von schwachem blaugrünem Licht erhellt. Soweit sie erkennen konnte, sah die Station aus wie ein Seestern mit sechs Armen, nur dass diese Arme größer waren als die Waggons eines Zuges und nicht direkt auf dem Meeresboden ruhten, sondern auf Metallstützen.
    Patrick drosselte die Motoren und ließ die Marlin näher an die Station herangleiten. Jetzt erkannte Carima an den Außenseiten hier und da Bullaugen aus nach außen gewölbtem Glas, grüne Lämpchen beleuchteten codierte Beschriftungen: DL-1, COM-L, SO/N. Was auch immer das bedeutete.
    »Man sieht ja kaum etwas«, beklagte sich ihre Mutter. »Wieso stellt ihr nicht mal ein paar ordentliche Scheinwerfer auf?«
    Was für eine dämliche Bemerkung. Wer konnte sich so was noch leisten, bei den immer höheren Strompreisen? In manchen Städten wurde inzwischen sogar nachts die Straßenbeleuchtung abgeschaltet. Carima wunderte sich nicht darüber, dass Patrick lachte. Doch seine Antwort überraschte sie. »Weil wir mit den ordentlichen Scheinwerfern unsere Nachbarn völlig durcheinanderbringen würden«, sagte er. »Für die Tiere hier unten ist Licht nicht einfach etwas, mit dem man besser sehen kann, es hat immer irgendeine Bedeutung. Deshalb können auch mehr als drei Viertel der Tiere, die hier unten leben, in irgendeiner Form selbst leuchten.«
    »Wozu ist das denn gut?« Carima war fasziniert. Die Fahrt hier runter war viel interessanter, als sie gedacht hätte.
    Patricks verschmitzte braune Augen richteten sich auf sie. »Zum Beispiel als Kontaktanzeige. Wie soll man hier unten jemanden finden, der zur eigenen Art gehört und sich paaren will? Da hilft nur fleißiges Leuchten.« Schon hatte er sich wieder abgewandt. Wie zu Beginn der Fahrt wirkte er hoch konzentriert, mit winzigen Bewegungen eines Joysticks steuerte er das Tauchboot. »Seht ihr? Da vorne ist die Schleuse, da müssen wir hin.«
    Sie glitten in Zeitlupe an einem riesigen Logo des ARAC-Konzerns vorbei, das auf der Oberseite der Station prangte – dunkel erinnerte sich Carima, dass die Abkürzung ARAC für »Aquatic Resources Analysis Corporation« stand und dass die Firma irgendetwas mit Meeresrohstoffen zu tun hatte.
    Im Funk quäkten Stimmen, die Carima kaum verstand, und Patrick antwortete in knappen Sätzen – dann änderte sich sein Ton, er redete wieder mit ihr und ihrer Mutter. »Allerdings können manche Raubfische diese Lichtsignale nachmachen, und wenn die einsamen Herzen hoffnungsfroh zu ihnen geschwommen kommen – haps! Gemein, was?«
    Ein kurzer Ruck ging durch das Tauchboot. Patrick lehnte sich sichtlich zufrieden in seinem Sitz zurück und fuhr mit beiden Händen durch seine widerspenstigen rotbraunen Haare. »Geschafft – wir sind da. Herzlich willkommen am tiefsten bewohnten Ort der Erde.«
    »Moment, ich gebe Ihnen Ihren Pulli zurück.« Nathalie Willberg begann, sich die dicke Wolle über den Kopf zu streifen. Carima sah, dass ihre Arme von Gänsehaut bedeckt waren. Seit ihre Mutter nicht mehr in München, sondern auf den Cayman Islands lebte, war sie eine richtige Frostbeule geworden. Pech, dass ihr der Fleece-Pullover, den sie auf den Ausflug mitnehmen wollte, noch vor Beginn der Tauchfahrt mit den Worten »Synthetische Kleidung kann gefährliche Funken verursachen!« freundlich, aber bestimmt abgenommen worden war. Zum Glück hatte Carimas violettes Sweatshirt die Prüfung bestanden.
    »Behalten Sie das Ding ruhig, solange Sie da sind.« Patrick grinste. »Blau gefrorene Besucher sind ja kein
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