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Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33

Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33

Titel: Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Autoren: Delacroix Claire
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denn einen Herzschlag später hob sich auch schon eine behandschuhte Hand zum Saum der Haube.
    Aufs Neue wurde Sophie von Entsetzen gepackt, war sie doch fest davon überzeugt, dass sie den Anblick nicht würde ertragen können. Neugier und Furcht kämpften in ihr, während ihr das Herz bis zum Hals schlug. Sie wollte sich schon abwenden, als sie sich dazu durchrang, ein letztes, quälendes Mal zurückzuschauen. Sie erhaschte gerade noch einen flüchtigen Blick auf dichtes lohfarbenes Haar und ein blaues scharfsinniges Augenpaar. Dann rannte sie davon.
    Mit einem erstickten Schreckenslaut fuhr sie abrupt auf. Ihr Herz hämmerte, als sei sie den ganzen Weg vom Stadttor bis hierher gelaufen. Der Atem stockte ihr qualvoll in der Brust, während die geisterhaften Schemen zerflossen und übergingen in die wohlvertrauten Konturen ihrer Kammer.
    Sie war daheim. Außer Gefahr.
    Wieder einmal war es nichts weiter als jener Traum gewesen.
    Sophie stieß die angehaltene Luft aus und nahm einen tiefen, stockenden Atemzug. Während sie ihre verkrampften Finger von den Laken löste, ließ sie rasch den Blick durch den vertrauten Raum schweifen. Die Truhe, der Schrank, das spitz zulaufende Dach mit den massigen, dunklen Balken – alles war wie immer.
    Daheim. Auch wenn es finster war, war doch alles ruhig und gelassen.
    Sie schlang die Arme um die angewinkelten Beine, schloss erleichtert die Augen und überließ sich der schützenden Aura einer schlafenden Stadt, in der sich jeglicher Schrecken rasch auflöste. Die Stirn auf die Knie gebettet, spürte sie, wie ihr Herzschlag allmählich langsamer wurde, und fühlte die Feuchte der eigenen Tränen auf ihrer Haut. Ihr Magen rumorte bedrohlich, wie immer nach Begegnungen dieser Art, und während ihre Melancholie allmählich wieder die Oberhand gewann, seufzte Sophie resigniert auf.
    Eines Tages würde der Sinn sich ihr offenbaren, das fühlte sie tief in ihrem Herzen. Dann und nur dann würde der Traum sie nicht länger quälen. Aber wie sollte sie das Warten aushalten? Sie könnte es nicht ertragen, diesen Albtraum auch weiterhin erleben zu müssen, denn sie war überzeugt, dass sie daran vorzeitig altern würde.
    Warum aber war es in dieser Nacht anders gewesen?
    Mit gerunzelter Stirn hob sie den Kopf von den Knien und spähte ins Dunkel. Denn anders war es tatsächlich. In ihren vorherigen Träumen war die Gestalt stets weiblich gewesen; daran gab es für sie nicht den geringsten Zweifel. Wieso hatte die Geschichte sich diesmal geändert, nachdem sie in so vielen Nächten immer dieselbe gewesen war?
    Ob du wohl je erfährst, was dahintersteckt?
    Fröstelnd in der herbstlichen Kühle erhob Sophie sich vom Lager, um die Fensterläden zu schließen. Als sie in den Schimmer des Mondlichts trat, das in ihre Kemenate fiel, hätte sie schwören können, dass sein Schein ihre Haut berührte. Bestürzt und fasziniert zugleich betrachtete sie, wie sich ihre Arme unter dem silbernen Licht mit einer Gänsehaut überzogen. In einem plötzlichen Anfall unerklärlicher Angst zog sie hastig die Läden zu, um das wissende Auge des Mondes auszuschließen.
    Es stimmte, dass die Träume sie in eine schwermütige Stimmung versetzten, wie es ihre Mutter von Anfang an behauptet hatte. Bedrückt und wankelmütig. Das ziemte sich nicht für eine erwachsene Frau, erst recht nicht für eine aus einer fleißigen und bodenständigen Familie wie der ihren. Erneut schloss sie die Augen und zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Ach, könnte ich doch den Traum einfach vergessen und ihm befehlen, er möge mich nicht mehr heimsuchen, dachte sie und wusste, dass sie in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden würde.
    Vielleicht, so überlegte sie, ist ja noch jemand wach. Als sie die Ohren spitzte, war ihr, als höre sie Stimmengewirr von unten aus der Küche.
    Hastig legte sie sich den Umhang über die Schultern und trat hinaus in den stillen Gang. Von unten drang beruhigend das vertraute Gemurmel von gutmütig streitenden Männerstimmen, und Sophie eilte die Treppe hinunter, zu der tröstlichen Geborgenheit menschlichen Beisammenseins.
    „Fürs Geschäft verheißt das nichts Gutes“, nörgelte gerade jemand, als Sophie die unterste Treppenstufe erreichte. Ging man nach ihrem ältesten Bruder, war immer alles schlecht fürs Geschäft. Ausnahmsweise verzichtete Sophie auf einen Seitenhieb. Lieber überließ sie sich den angenehm alltäglichen, irdischen Angelegenheiten, um sich nicht weiter mit ihrem so rätselhaften
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