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Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33

Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33

Titel: Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Autoren: Delacroix Claire
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dem vorigen Jahrhundert befanden sich große Teile Westfrankreichs unter englischer Herrschaft, darunter auch die Weinbaugebiete um Bordeaux herum. Im Grunde genommen waren sie englische Lehen.
    Es sah diesen englischen Normannen ähnlich, dass sie versuchen würden, gleich Kapital aus Louis’ Ableben zu schlagen und sich die Oberhoheit über diesen Landesteil unter den Nagel zu reißen. Offenbar kannten sie aber Blanche von Kastilien schlecht, sollten sie glauben, dass sie eine leichtere Gegnerin sei als ihr verstorbener Gatte. Daraus die entsprechenden Lehren zu ziehen, hatten wohl auch die Edlen von Gascogne versäumt, denn auch sie trieben in letzter Zeit allerlei Spielchen mit ihren Treueverpflichtungen – eine Erkenntnis, bei der Hugues schmerzhaft das Gesicht verzog.
    Jedenfalls war ihm klar, dass er sich diesen Schwierigkeiten stellen musste, egal, ob es ihm nun passte oder nicht. Wenn es darum ging, die Klinge zu kreuzen, war er in seinem Element, im Kreise von Politikern hingegen verloren wie in einem Labyrinth. Aus diesen Schwächen hatte er auch keineswegs einen Hehl gemacht, was seine Regentin anscheinend für übertriebene Bescheidenheit hielt. Diese Fehleinschätzung, so seine Vermutung, würde ihr schon bald bewusst werden.
    Während des ganzen Marsches von Paris bis hierher hatte er sich das Hirn zermartert in der vergeblichen Hoffnung, ein katastrophaler Treuebruch gegenüber Louis’ Witwe ließe sich vielleicht doch noch vermeiden. Dennoch war ihm bislang kein überzeugendes Argument eingefallen, mit dem man die Bewohner von Bordeaux dazu hätte bewegen können, der normannischen Krone abzuschwören und sich stattdessen hinter den französischen Thron zu scharen. Stirnrunzelnd blickte er zum Himmel hinauf und brummte seinem Knappen eine belanglose Bemerkung über das Wetter zu, wobei er nur beten konnte, dass niemand merkte, wie ihm der Schweiß bereits den Rücken herunterrann.
    Für die Normannen sprach ferner nicht nur die bloße Tradition, denn der französische Hof zu Paris hatte vor Jahresfrist erst eine schmerzhaft spürbare Steuer erhoben. Daher wusste Hugues, dass die Städter ganz selbstverständlich eine Steuerbefreiung für mindestens ein Jahr erwarten würden. Es war allerdings eher unwahrscheinlich, dass die Capetinger dieser Forderung nachkommen würden. Das Verlockende an den Städten war ja gerade die Tatsache, dass sie das Steueraufkommen erhöhten, so es einem Herrscherhaus gelang, sie auf seine Seite zu ziehen.
    Ja, da hätte es den buchstäblich bankrotten Normannen schon einfallen müssen, einen Gesandten zu diesen wohlhabenden Städtern zu schicken und noch eine weitere Steuer zu fordern. Nur in dem Fall hätte die Seite von Reine Blanche wohl eher mit einem geneigten Empfang rechnen dürfen.
    Hugues trat vor, hielt aber jäh auf der Schwelle des Gotteshauses inne, denn plötzlich wurde ihm die Bedeutsamkeit dieses letzten Gedankens bewusst. Nachdem er sich die Möglichkeiten geraume Zeit durch den Kopf hatte gehen lassen, gelangte er zu dem Schluss, dass es sich vielleicht bewerkstelligen ließ. Früher oder später mussten die Normannen ohnehin zu Kreuze kriechen und um Geld betteln, denn sie waren ständig klamm. Vielleicht ließ es sich arrangieren, dass man ihren Abgesandten nicht kurzerhand hinter Schloss und Riegel sperrte. Hugues erlaubte sich den Anflug eines Schmunzelns und schlug sich vergnügt mit seinem Lederhandschuh gegen den Oberschenkel.
    Es würde klappen, da war er sicher. Und hoffentlich auch zeitig genug, sodass er bald wieder nach Paris zurückkonnte und von dort heim nach Pontesse, ehe seine vermaledeite Schwester Justine wieder etwas anrichten konnte.
    Als Sophie schließlich hinter ihrem Vater die Kirche betrat, hatte sie schon über ein Dutzend Anlässe nachgedacht, welche Gaillard dazu bewogen haben mochten, sich ausgerechnet von ihr begleiten zu lassen. Keiner dieser Gründe aber sagte ihr zu oder konnte all ihre Fragen befriedigend beantworten. Auch ihre Eltern schienen wenig geneigt, sie aufzuklären, und deshalb gelang es ihr auch nicht, jenes ungute Gefühl zu zerstreuen, das noch von der vorigen Nacht herrührte. Lag es wohl nur an den Nachwirkungen ihres Traums, oder reagierte sie deshalb so überempfindlich auf den leisesten Ansatz von Kuppelei, weil ihre Familie sich so eingehend über Gérard ausgelassen hatte?
    „Kopf hoch, Kind“, mahnte ihr Vater leise, während sie sich dem Kirchenportal näherten. Sophie wurde das mulmige Gefühl
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