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Rügensommer

Rügensommer

Titel: Rügensommer
Autoren: Aufbau
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warnenden Blick zum schwarzen Himmel.
    »Was?« Hannes zog die Augenbrauen hoch und sah sie an, als hätte sie japanisch gesprochen. Für ihn war der Düsseldorfer Dialekt vermutlich nicht weit davon entfernt.
    »Es wird ungemütlich«, übersetzte Deike tonlos, holte einmal tief Luft und startete ihren Wagen.
    Hannes wartete an der Treppe auf sie. »Geht es?« Er nahm ihren Arm.
    »Schon gut, ich bin ja kein Pflegefall.« Sie erntete einen missbilligenden Seitenblick und sagte etwas freundlicher: »Es geht mir gut, es ist ja nichts passiert.«
    »Darf ich hereinkommen?«
    »Das ist doch mal eine gute Idee.« Draußen fielen die ersten Tropfen, und in der Ferne grollte Donner, doch in Deikes Herz ging gerade die Sonne auf. »Ich wollte mir Tortellini machen. Magst du auch welche?«
    »Nein, Deike, ich will nicht essen. Ich will reden.«
    »Ist das nicht ein Frauensatz?« Endlich sah sie ihn mal wieder lächeln. »Okay, reden wir.« Sie ließ sich auf das Sofa fallen.
    Hannes blieb stehen. Er ging zum Fenster herüber, kam gleich wieder zurück und knetete die Hände. »Meine Eltern sind bei einem Verkehrsunfall auf einer der schmalen Alleen hier auf der Insel ums Leben gekommen. Es ist das Licht, weißt du? Du fährst im Sommer mit Sonnenbrille, es ist grell, und du fährst in eine Allee wie in einen Tunnel. Dann noch die dunkle Brille und ein Touristen-Auto, das mitten auf der Fahrbahn steht, weil der Besitzer schnell ein Foto machen will … Er ist hier ja im Urlaub, alles ist so hübsch, so fotogen, und er kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass es auch Menschen gibt, die hier immer leben, die in Eile sind.« Er hatte sich in Rage geredet und brach ab.
    »Fährst du deshalb kein Auto?«
    Er nickte. »Ich habe einen Führerschein, hin und wieder leihe ich mir auch einen Wagen, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Aber ich bevorzuge das Fahrrad. Das ist auch besser für die Umwelt.« Er lachte, ohne dass seine Augen jedoch ihre Traurigkeit verloren.
    »Ich war gerade im Garten und habe dich kommen sehen und den Laster, der aus der Einfahrt wollte. Du kannst dir gar nicht vorstellen … Ich dachte, jetzt kracht’s.«
    Sie stand auf und ging zu ihm herüber. »Es hat nicht gekracht, mir ist nichts passiert.«
    »Gott sei Dank!« Damit nahm er sie in die Arme und hieltsie einfach nur fest. Sie spürte sein Herz schlagen, spürte seine Wärme. Draußen trommelte der Regen immer stärker auf das Dach, wurde vom Sturm gegen die Scheiben gedrückt.
    Langsam löste sie sich von ihm und führte ihn zum Sofa. Sie zog die Knie an, schob sie auf seinen Schoß und kuschelte sich an ihn. »Wann ist das mit deinen Eltern passiert?«
    »Vor vier Jahren.«
    »Es tut mir so leid.« Vier Jahre waren keine lange Zeit, um einen solchen Verlust zu verkraften. Sie musste daran denken, was er über Familie gesagt hatte. Er hatte seine verloren.
    »Es gibt da jemanden«, setzte er an und suchte nach den richtigen Worten. »Ich wohne nicht immer allein hier, das hast du wohl bemerkt.«
    Ihr Herz schlug einen Takt schneller. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt.
    »Ich habe eine Schwester.«
    »Du hast eine Schwester?« Diese Möglichkeit war ihr nicht eine Sekunde lang in den Sinn gekommen.
    »Sie war schon immer sehr sensibel und zerbrechlich. Der Tod unserer Eltern hat sie vollends aus der Bahn geworfen. Sie leidet seitdem unter schweren Depressionen.«
    Deike fiel ein, was sie an dem verhängnisvollen Abend über die Musik gesagt hatte, die in seiner Wohnung zu hören gewesen war. Davon müsse man depressiv werden, hatte sie gemeint. Sie schämte sich schrecklich.
    »Sie hat schwerste psychosomatische Symptome, Essstörungen, Schmerzen am ganzen Körper. Manchmal ist es so schlimm, dass ich Angst habe, sie übertreibt es mit den Schmerzmitteln.«
    »Das ist ja furchtbar. Wenn ich das gewusst hätte …«
    »Sie ist jünger als ich und hat noch bei meinen Eltern gelebt, als es passiert ist. Zuerst ist sie alleine in dem Haus untenin Altefähr geblieben, aber das hat nicht funktioniert. Also habe ich eine Wohngruppe für sie gefunden. Dort leben Menschen mit verschiedenen psychischen Problemen und posttraumatischen Störungen zusammen.«
    »Ist das in Wiek?«
    »Nein, wie kommst du darauf?«
    »Ich war mit Natty in einer Klinik. Wir haben dir davon erzählt, glaube ich. Sie hat sich dort wegen einer Stelle erkundigt. Da habe ich euch gesehen, also dich mit einem Mädchen.«
    »In Wiek ist sie nur bei akuten Problemen, wenn
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