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Rügensommer

Rügensommer

Titel: Rügensommer
Autoren: Aufbau
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Frau noch einmal fest umarmte und sie dann behutsam auf die Rückbank bugsierte. Sie schien unaufhörlich auf ihn einzureden, was er mit ständigem Nicken beantwortete. Irgendwann warf er die Autotür zu, und das Taxi fuhr in die Nacht. Er stand eine Weile unter der einzigen Laterne, die es in dieser Straße gab, und blickte in die Richtung, in die der Wagen mit der Frau verschwunden war.
    Plötzlich schlug er die Hände vor das Gesicht. Deike fühlte einen Stich in der Brust. Sie sollte zu ihm gehen, ganz gleich, was geschehen war. Er brauchte sie jetzt. Er rieb sich die Augen und kam dann mit hängenden Schultern auf das Haus zu. Sie konnte ihn nicht mehr sehen, hörte nur, wie die Tür leise ins Schloss fiel.
    »Er ist ein großer Junge. Wenn er Hilfe braucht, wird er sich schon melden«, mahnte Nattys Stimme in ihrem Kopf. Deike wusste, dass das nicht stimmte. Da er aber in den letzten Wochen bestens ohne sie zurechtgekommen war, würde er das auch jetzt schaffen.
     
    Deike hatte furchtbar schlecht geschlafen. Immer wieder war sie aufgeschreckt, weil sie meinte, ein Schreien oder Wimmern gehört zu haben. Mal war es eine Frau gewesen, die Todesangst auszustehen schien, dann war es eine Männerstimme gewesen, die entsetzliche Klagelaute von sich gab. Gott sei Dank war es Freitag, am Wochenende konnte sie sich erholen. Ausnahmsweise hatte sie mal keinen einzigen Termin angenommen, sondern alles auf die freien Mitarbeiter verteilt. Sie war spät dran. Als sie aus der Tür trat, traf sie fast der Schlag, so schwül und stickig war es schon am frühen Morgen.
    »Auch das noch«, schimpfte sie vor sich hin und lugte vorsichtig nach nebenan. Hannes war sicher schon bei der Arbeit. Erst auf den zweiten Blick registrierte sie, dass die Vorhänge geöffnet waren. Sie überlegte, ob sie ans Fenster gehen und hineinsehen sollte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Womöglich war er doch zu Hause. Außerdem musste sie sich beeilen.
    Sie brachte den Tag irgendwie herum, hielt sich mit viel Kaffee und einem doppelten Espresso über Wasser und war heilfroh, als sie endlich Feierabend machen und nach Hause fahren konnte. Ihr Herz schlug, angetrieben von der Überdosis Koffein, wie verrückt, gleichzeitig fühlte sie sich erschöpft, als hätte sie eine ganze Nacht durchgearbeitet. Die Hitze gab ihr den Rest, und ihre Klimaanlage im Auto hatte ausgerechnet jetzt ihren Geist aufgegeben. Wie gut, dass sie es nicht mehr weit hatte, sie konnte sich kein bisschen auf den Verkehr konzentrieren. Immerhin wurde der Himmel schwarz, Sturm peitschte die Bäume der Alleen. Das versprach Regen. Sie bog in die schmale Straße ein, in der sie seit Ende April wohnte. Bemerkenswert, wie schnell man sich an Dinge und Orte gewöhnte, dachte sie noch, da sah sie im Augenwinkel etwas, das sich schnell auf die Straße zu bewegte. Nein, das war kein Etwas, das war ein Mensch. Sie trat panisch auf die Bremse, wurde in den Gurt gepresst und flog gleich wieder zurück an die Kopfstütze. Der Motor soff ab. Dann geschah alles gleichzeitig: Vor ihr kam ein Lastwagen zum Stehen, der rückwärts aus einer Einfahrt gesetzt hatte. Und Hannes war mit einem Satz an ihrem Auto und riss die Tür auf.
    Sie starrte ihn an, als habe sie eine Erscheinung.
    »Ist alles in Ordnung? Geht es dir gut?« Er keuchte, wahrscheinlich weniger von dem Sprint, den er hingelegt hatte, als von der Aufregung, und legte ihr eine Hand auf die Schulter. 
    »Wo kam der denn plötzlich her? Ich habe den gar nicht gesehen«, sagte sie leise.
    Der Lkw-Fahrer hatte sich schnell von seinem Schreck erholt und zeigte ihr mit wilden Gesten, was er von ihrer Fahrweise hielt.
    »Ich weiß nicht, wo ich mit meinen Gedanken gewesen bin. Ich habe den wirklich nicht gesehen.« Sie blickte verstört in Hannes’ besorgtes Gesicht. Allmählich löste sich der Schock, sie begann zu zittern, und eine Träne lief ihr über die Wange.
    »Ist ja nichts passiert.« Seine Stimme klang vertraut und beruhigend. Leider war das eher kontraproduktiv, wenn es darum ging, die Fassung zu bewahren.
    »Glaubst du, du kannst dein Auto von der Straße bringen?« Ein kurzes Zögern. »Oder soll ich für dich einparken?«
    »Nein.« Ihr entwischte ein kurzes Schluchzen. »Das kriege ich schon hin. Sogar auf der richtigen Seite«, ergänzte sie und meinte das keineswegs lustig.
    Er ließ ihre Schulter los. In dem Moment kam die Duschel mit ihrem rosa Hündchen vorbei. »Et wööd usselech«, verkündete sie mit einem
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