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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad
Autoren: Philippe Djian
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Papierkorb. Danach, die Hände im Nacken, musterte ich die Decke:
    - Ihr wußtet alle beide, daß das nicht in Frage kam. Also, was soll das Ganze?
    Ich hörte sie seufzen.
    - Ach, Dan, natürlich … Ich hab’s ihm hundertmal gesagt. Aber er wollte nicht lockerlassen, er behauptet, es sei die letzte Hoffnung …
    Ich fühlte mich plötzlich sehr unbehaglich und fuhr wie von der Tarantel gestochen in die Höhe. Ich hoffte, nicht recht gehört oder irgend etwas falsch verstanden zu haben.
    - Wie bitte, die letzte Hoffnung …!? Also nein, Andrea … Sie schüttelte seufzend den Kopf.
    - Oooh …. meinte sie und unterstrich ihre Antwort durch eine müde Geste.
    Das war die Höhe. Ich platzte in Pauls Büro, vergaß, daß er nicht allein war. Ehrlich gesagt hatte er binnen weniger Tage einen Schuß Senilität abbekommen, und ich erwischte ihn auf dem Tiefpunkt. Als er erfaßte, daß ich es war, setzte er ein Lächeln auf, er versuchte aufzustehen, fiel jedoch sofort wieder zurück. Trotzdem winkte er mir mit zitternder Hand zu:
    - Dan … Mein lieber Dan … Sei willkommen … Komm doch rein!
    Ich baute mich vor ihm auf, das Mädchen, das in seinem Sessel zu schrumpfen schien, ignorierte ich total. Zehn Jahre meines Lebens waren in diesem Zimmer. Ich fühlte mich zu Hause. All meine Siege, all meine Niederlagen, so etwas wie ein Sammelsurium der schlimmsten und schönsten Momente. Ich scheute mich nicht, meine Hände auf seinen verflixten Schreibtisch zu legen, was seinen Dreckskugelschreiber zu Boden fallen ließ.
    - Damit das klar ist …. sagte ich in einem Ton, den die Wut in Heiserkeit verwandelte.
    Er lief purpurrot an. Die Anstrengung, die es ihn kostete, weiter zu lächeln, verzerrte sein Gesicht.
    - Danny … Darf ich dir Mademoiselle Bergen vorstellen … Ich fiel ihm unverzüglich ins Wort:
    - Sieh mich an, Paul. Du kannst alles mögliche von mir verlangen. Ich schreib dir jeden Schweinkram oder eine politische Rede, morgen noch, verlang von mir, was du willst, es ist mir ganz egal. Aber es gibt EINE SACHE …
    - Dan, alter Freund …
    - … eine Sache, von der will ich nichts wissen, nämlich mit jemand zusammenzuarbeiten, hörst du, das würde ich nicht ertragen! Ich will ALLEIN sein …!
    - Hör mir zu … Braus doch nicht gleich auf.
    Ich brauste nicht auf, ich ging hoch wie eine lodernde Flamme.
    - Du kannst der Tante sagen, sie braucht nicht auf mich zu zählen. Soll sie sehen, wie sie mit ihrem Drehbuch klarkommt, wie sie es hinkriegt. Mit mir nicht! Sie braucht mich, um ihr Dingsda zu überarbeiten …? Ist sie dafür nicht groß genug …?!!
    - Also Dan …
    Das Mädchen stand auf, es murmelte eine Entschuldigung und raffte ein paar Blätter auf dem Schreibtisch zusammen. Aber ich ließ Paul nicht aus den Augen, ich war noch nicht fertig mit ihm.
    - Ich hör sie schon wegen jeder Lappalie herumnörgeln …! Ich hör sie schon schreien: Mörder! Rühren Sie mein Kind nicht an …!! Sag mal, hast du das nicht bedacht …?! Und das ist längst nicht alles …
    Hinter mir knallte die Tür zu. Paul sackte zusammen. Das Mädchen war ausgeflogen.
    - Herrgott …. stöhnte ich. Konnte ich das ahnen …?
     
    Richards Vater war vor ungefähr zwei Jahren gestorben. Geröstet hoch oben auf einem Hochspannungsmast. Wir waren uns auf einem Elternabend in der Schule begegnet, wir waren nicht nur die einzigen Typen im Klassenraum. Er hatte ebenso Probleme mit seiner Frau wie ich mit meiner. Wir hatten uns schnell etwas zu sagen gehabt.
    Als Mat Bartholomi starb, hatte ich so etwas wie einen Freund verloren.
    - Ich habe einen Fehler gemacht, hatte er mir erklärt. An dem Tag, als ich diesen Job in der Nachtschicht akzeptiert habe, da habe ich den größten Bock meines Lebens geschossen.
    Er sagte das ohne jede Bitterkeit, er stellte es ganz einfach fest. Ich war meinerseits überzeugt, daß das Leben nur eine lange Reihe von Irrtümern war, für die man büßen mußte.
    Richard ähnelte ihm, nur daß Mat, ganz im Gegensatz zu seinem Sohn, einen klaren und jugendlichen Blick gehabt hatte. Richards Augen hatten einen dunklen Glanz. Niemand hatte ihn beim Tod seines Vaters eine Träne vergießen sehen, doch seine Gesichtszüge waren härter geworden, und obwohl er ungefähr im gleichen Alter war wie Hermann, wirkte er älter, ungeselliger.
    Sobald ein Typ hereinkam, setzte Richard eine argwöhnische, unverhohlen muffige Miene auf, und er wich dem Kerl nicht von der Seite, bis er wieder durch die Tür war. Ich war der
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