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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad
Autoren: Philippe Djian
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keinen Wert, daß ich mich weiter abmühte. Mein Blick schweifte regelmäßig, wie magisch angezogen, zum Fenster, und ich stützte mein Kinn mit beiden Händen und konnte nicht umhin, mir meine schöpferische Ohnmacht einzugestehen, was, dem Himmel sei Dank, nicht mehr zu meinen Hauptsorgen zählte.
    Wieder klingelte das Telefon.
    - Dan … Dan …. wimmerte er.
     
    An jenem Morgen, als uns Franck, Hermanns Mutter, verließ, hatte ich beschlossen, alles zu tun, was in meiner Macht stand. Ich hatte den Wagen verkauft und mir ein Motorrad zugelegt. Ich war sicher, daß es auf einem Motorrad keine drei Plätze gab, und eine, die mit dem Gepäckträger vorliebgenommen hätte, kannte ich nicht. Mehr interessierte mich nicht. Ansonsten hatte mich eine solche Maschine nie verlocken können. Ich fand, das war das beste Mittel, auf die Fresse zu fallen und sich im Winter die Eier abzufrieren, genauso dachte ich. Erst einmal im Sattel, hatte ich schnell meine Meinung geändert. Und obwohl ich nicht gerade ein fanatischer Anhänger der Chose geworden war, kam es für mich nicht mehr in Frage, fortan darauf zu verzichten.
    Ich stellte es vor Pauls Büro ab, auf dem Bürgersteig, keine fünf Minuten nachdem ich wortlos den Hörer auf die Gabel geknallt hatte. Die Luft war mild. Ich glaubte, ich sei wütend, aber ich war es nicht, höchstens gereizt und leicht stutzig wegen seines Verhaltens. Eine gewisse Zeitlang hatte ich es nicht ertragen können, wenn man mich beim Schreiben störte, ich arbeitete in einem Zustand permanenter Spannung, und die geringste Störung brachte mich zur Weißglut, jetzt hingegen lauerte ich nur auf die erstbeste Gelegenheit, alles liegen- und stehenzulassen, eine Fliege genügte, um mich von meinen Blättern loszueisen, ein leiser Luftzug, der zaghafte Hauch eines Atems. Jetzt störte mich niemand mehr, im Gegenteil, man war mir willkommen, man war der Lichtblick, man war alles, was ich letztlich erwartete. Ich glaube, das war auch nicht schlecht. Ich habe den Eindruck, es gibt nichts besonders Wichtiges in diesem Leben.
    Ich betrat den Aufzug zusammen mit einem Mädchen, das einen Stoß Blätter in ihren Armen trug. Um nicht zu sagen, auf ihrem Herzen. Ich wußte nur zu gut, worum es sich handelte. Sie sah mich nicht an, aber hätte ich nur den kleinen Finger auf ihren geliebten Schatz gelegt, hätte sie mir sogleich ein Auge ausgekratzt. Wir waren alle gleich, nur daß ich seit fünf Jahren keine einzige wahre Zeile mehr geschrieben hatte, ich spazierte inzwischen mit leeren Händen. Das Ding, zerknittert, wie es war, war sicher nicht auf seiner ersten Reise. Fast hätte ich diesem Mädchen ein paar nette Worte gesagt. Sie starrte auf ihre Füße, und ich schwieg.
    Wir gelangten gemeinsam in Andreas Büro. Das Mädchen hatte einen Termin bei Paul, und in ihrer Stimme lag eine solche Dringlichkeit, daß ich brav wartete, bis ich an der Reihe war, ich, der ich Zeit hatte zuhauf, ich, der ich wieder ein freier Mann war.
    Andrea bot mir einen Kaffee an. Draußen wurde es dunkel. Wir pusteten in unsere Plastikbecher und tauschten ein paar Informationen aus.
    - Tja, er hat auch nicht mehr den Schwung von einst …. meinte sie zu mir.
    - Jaja, er macht mir Kummer, erwiderte ich.
    - Seit ein paar Tagen sitzt er nur noch mit leerem Blick hinter seinem Schreibtisch, ohne einen Finger zu rühren. Ich frage ihn:
    - Paul, geht es Ihnen gut …? Brauchen Sie etwas …?, aber ich seh schon, er ist nicht bei der Sache, auch wenn er schwach den Kopf schüttelt …
    Ich grinste verständnisvoll. Ein Murmeln drang aus Pauls Büro zu uns herüber, und von der Straße stiegen die üblichen Geräusche herauf, stark gedämpft, fast erholsam.
    - Ich könnte meinen Hut aufsetzen und eine Runde drehen, ohne daß er etwas merken würde, fügte sie lächelnd hinzu.
    Was sie ihren Hut nannte, war ein apfelgrünes Ding, das direkt aus einem Waschkessel zu stammen schien. Ich hatte sie noch nie ohne dieses vom Regen aufgeweichte, im Wind getrocknete, ein für allemal verwaschene Ungetüm ausgehen sehen. Dennoch, ich liebte dieses Ding besonders innig. An jenem Tag, als mich Franck verließ und man mich bei Ladenschluß volltrunken vor dem Eingang vorfand, hatte sie mein Gesicht darin abgewischt. Das ist übrigens das einzige, woran ich mich erinnere, das und ein Gedanke, der mir schlagartig durch den Kopf ging, es ist soweit, habe ich mir gesagt, endlich sehen ihre Haare den Himmel.
    Ich schnippte meinen Becher geschickt in den
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