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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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beiden gesagt hatte, und mir geschworen, ich erkenne, wer Hasso ist und wer Harro. Jetzt hatte ich ja nur einen vor mir, und ich hatte keine Ahnung. Aber mir wurde in diesem Moment, da ich diesen Mann in den Spiegeln sah, erst richtig bewußt, wie grotesk es war, daß zwei Männer, die einer wie der andere aussehen, ausgerechnet ein Spiegelhaus betreiben.
    Krachts Spiegelhaus vormals Pütz in Köln.
    Ich hatte mich bewußt nicht angekündigt. Ich wollte mir die beiden unter einem Vorwand ansehen und erst später mit meinem Wissen und meinem Anliegen kommen. Doch kurz vor Betreten des Ladens hatte ich mich für eine andere Art der Kontaktaufnahme entschieden.
    »Ich habe da ein altes Foto, das möchte ich rahmen lassen. «
    »Gern, dafür sind wir da. Haben Sie die Maße?«
    »Ich hab es dabei.«
    Ich holte aus meiner Tasche ein DIN-A4-großes Bild, das die Krachts im Zweier zeigte, ausgepumpt, aber glücklich lächelnd nach einem Sieg, ein Bild aus dem Jahre 1936. Gespannt legte ich es mit der Bildseite nach oben auf den Tisch. Der Mann nahm, ohne sein Wippen zu unterbrechen, einen Maßstab, maß Länge und Breite, schob dann das Bild beiseite. Er hat es nicht erkannt, nein, er hat es gar nicht angeschaut. Man legt ihm wohl so viele Bilder am Tag auf den Tisch, daß er die nicht mehr betrachtet. Sie haben für ihn nur zwei Maße, sonst nichts.
    »DIN A4- Und wollen Sie ein Passepartout?«
    »Ja, doch. Ich will es verschenken.«
    »An welche Art Rahmen haben Sie gedacht?«
    »Was Schlichtes - nicht schwarz - Mahagoni oder so.«
    Wieder legte er den Maßstab aufs Foto, einmal längs, einmal quer, und wieder sah er nichts.
    »Ich würde sagen, 30 mal 40 müßte gut aussehen. Ich hol mal ein paar Muster. Einen Moment, bitte.«
    Er verschwand nach hinten. Ich war zwar etwas enttäuscht, andererseits aber auch neugierig, wie das weitergehen würde. Ich schaute mich im Laden um, sah mich hundertfach gerahmt, vergoldet, fühlte mich geehrt. Dann tauchte er wieder auf, ich drehte mich um und lächelte ihn an. Sein Wippen begann mich zu irritieren.
    »Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«
    Ich war ganz kurz verblüfft, dann war mir klar, daß es der andere war!
    »Haben Sie einen Wunsch?«
    »Danke, ich hab schon mit -.«
    »Ach ja, mein Bruder wird dann wohl gleich kommen.«
    Er lächelte das leicht überlegene Lächeln der Zwillinge, Ausdruck ihrer Freude an der Verblüffung der anderen.
    Ich hatte meine Jugend mit Zwillingen verbracht. Verena und Monika, die Töchter unseres Bürgermeisters, gingen bis zum Abitur mit mir in eine Klasse. Neue Lehrer konnten sie nicht voneinander unterscheiden. Die beiden spielten damit bis in die Puberträt. Sie zogen sich gleich an, steckten sich dieselben Ringe an, hatten dieselbe Frisur. Erst, als sich dieselben Jungens in sie beide verliebten, wollten sie sich voneinander unterscheiden.
    Unser alter Chemielehrer, schon leicht vertrottelt, gab sich nicht die Mühe der anderen Lehrer. Er nannte sie beide Veronika. Er rief Veronika auf, beide erhoben sich und sagten im Duett die auswendig gelernten Formeln zu seiner Zufriedenheit auf. Er gab beiden immer dieselbe Note.
    Der neu erschienene Spiegelzwilling (Spiegelzwillinge, so nannte man sie, wie ich später erfuhr) stand da, wippte, schaute zum Tisch, sah das Foto, ging näher an den Tisch, schaute das Bild interessiert an. In dem Moment wußte ich, das war Hasso, der Gedichte schreiben und nicht rudern wollte. Er schaute sich ein zu rahmendes Bild an, der andere, Harro, nicht. Ich starrte in irgendeinen Spiegel an der Wand, gab mich desinteressiert.
    Der andere kam mit Rahmenmustern zurück.
    »Harro, hast du das Bild gesehen!?«
    »Ja, der Herr will es rahmen lassen.«
    »Hast du dir das angeschaut?«
    Jetzt standen sie beide, immer weniger wippend, vor dem Tisch und betrachteten das Bild. Ich sah sofort, daß ihnen da etwas wiederbegegnete, das in ihrem jetzigen Leben keine Rolle mehr spielte, daß da urplötzlich eine Vergangenheit nach ihnen griff, die sie abgelegt hatten. Ich hatte sie mit einem Stück ihres Lebens konfrontiert, von dem sie vielleicht gar nichts mehr wissen wollten.
    Ob das gut gehen würde? Mir wurde bewußt, daß es vielleicht einen Grund haben könnte, warum man über die beiden Erfolgs-Ruderer in den Sportgazetten, die doch jeden Altstar aus der Vorkriegszeit hervorkramten, nie etwas geschrieben hatte. Sie wollten vielleicht nichts mehr davon wissen. Hasso - ich merkte ihn mir ab sofort an den schlechteren
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