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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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Zähnen - erlöste mich. Er lächelte. Harro blickte noch immer starr auf das Bild. Dann schauten sie mich beide fragend an. Jetzt zog ich meinen ersten Trumpf.
    »Ich will es Herbert Suhrbier zum siebzigsten Geburtstag schenken.«
    »Herbert -«
    »Suhrbier!«
    Kurz darauf saß ich mit ihnen und ihren Frauen in ihrem Wohnzimmer über dem Laden. Ja, sie hatten ein Wohnzimmer.
    Die beiden Frauen waren Cousinen. Hasso hatte eine Tochter und einen Sohn, die arbeiteten beide im Geschäft mit. Harro hatte drei Söhne, von denen einer ebenfalls im Geschäft arbeitete, die anderen beiden hatten schon Familie, lebten aber in der Stadt. Die beiden Familien hatten immer nur eine Wohnung, die allerdings über zwei Etagen ging. Einen Zwilling, so sagten mir die Frauen, hat man nie für sich allein. Daraus, daß die beiden Männer nie zu trennen gewesen wären, hatten sie eine Tugend gemacht. Sie waren eine Großfamilie. Die Kinder sagten mir später, sie hätten immer zwei Väter gehabt und ihre Vettern und Cousinen Bruder und Schwester genannt.
    Ich blieb ein paar Tage in Köln, traf mich mehrmals mit den Zwillingen und ihren Frauen, redete mit den Kindern, die erstaunlicherweise fast nichts über die Karriere ihrer Väter in deren jungen Jahren wußten. In der Wohnung, soweit ich sie gesehen habe, gab es keine Trophäen, keine Urkunden, keine Bilder von damals. Die Vergangenheit fand nicht statt. Es stellte sich heraus, daß sie beide das Rudern gehaßt haben. Es war lediglich Bestandteil ihrer Erziehung, der des strengen Vaters und der jener Zeit. Diese Karriere, die damals als vorbildlich galt und natürlich propagandistisch ausgeschlachtet worden war, hatte ihre Jugend zerstört, sie daran gehindert, etwas Vernünftiges zu lernen und zu studieren.
    »Es ging damals beim Militär gemütlicher zu als im Ruderverein«, sagte Harro.
    »Und Suhrbier war ein Schleifer, ein hundertprozentiger Nazi, wie sie eben damals herumliefen«, sagte Hasso.
    »Er nannte uns Hunde, das müssen Sie sich mal vorstellen. «
    »Los, ihr Hunde! Los!«
    »Die Trainer waren damals alle so.«
    »Sicher hat er sich im Sozialismussport auch durchgesetzt?«
    »Natürlich.«
    Ich erzählte, was ich von Suhrbier wußte, machte die Dinge aber schöner, als ich sie selbst empfunden hatte. Ich beschrieb meine Reise nach Leipzig und ließ bewußt einfließen, wie begeistert Suhrbier über sie beide gesprochen hatte und wie sehr er sich eine Wiederbegegnung
    wünschen würde. Ich handelte ganz eigennützig, denn da die DDR-Rentner jetzt in die BRD reisen durften, wollte ich doch gerne eine Begegnung herbeiführen.
    Daß Suhrbier seine Hunde nach ihnen benannt hatte, erzählte ich ihnen nicht, und ich stellte, als ich einmal unverfänglich nach dem Grund für ihre Namen fragte, zu meiner Verblüffung fest, daß sie nicht wußten, daß die Lieblingshunde ihres Vaters so geheißen haben wie sie.
    Der alte General, so erzählten sie, wohnte in einem Seniorenstift in Baden-Baden, sei über neunzig Jahre alt und immer noch der alte General.
    »Er geht durch die Stadt«, sagte Hermine, die Frau von Hasso,
    »und schlägt mit seinem Spazierstock allen an die Beine, die kurze Hosen tragen.«
    Für mich verblaßte die Geschichte der damaligen Leistungssportler immer mehr hinter der Geschichte der Zwillinge.
    So viel fand ich heraus:
    1939 verliebten sich beide während eines Lehrgangs in Köln in dasselbe Mädchen, in Christa Pütz, die Tochter eines Spiegel-ladenbesitzers. Noch ehe sich Christa für einen der Zwillinge entscheiden konnte, kam der Krieg, und beide wurden eingezogen.
    Anfangs noch zusammen in derselben Kompanie, wurden sie später getrennt. Harro lag wegen eines Beindurchschusses in Hamburg in einem Lazarett, Hasso wurde nach Rußland an die Front geschickt. Harro kam 1945 als erster zurück und schlug sich zielstrebig, ehe er die nach Karlsruhe geflüchteten Eltern auf-suchte, nach Köln durch. Dort bat er die völlig verblüffte, mit ihren Eltern in der Ruine ihres Hauses sitzende Christa, seine Frau zu werden. Sie wollte Bedenkzeit, Harro fuhr nach Karlsruhe, erfuhr, daß man von Hasso nichts mehr gehört hatte, kam zurück nach Köln, krempelte die Ärmel hoch und begann mit Christas Vater, Haus und Laden wieder instand zu setzen. Christa, die insgeheim immer noch an den anderen Bruder dachte, den, der ihr Gedichte aufgesagt hatte, den Träumer, gab schließlich Harros Werben nach. Im März 47 heirateten sie. Und es gibt ein Detail in dieser
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