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Ruchlos

Ruchlos

Titel: Ruchlos
Autoren: Beate Baum
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der neuen Technologie bekommen, der Fotograf war nicht erschienen, sodass ich mich gleich um ein Bild von einer Agentur bemühen musste. Mein für den warmen Tag viel zu dicker Pullover war durchgeschwitzt und auf meine helle Jeans hatte ich Kaffee gekleckert.
    Ich fragte, ob er auch ohne das Pressegespräch etwas über den Stand der Plattenbau-Sanierungen in Johannstadt schreiben könnte.
    »Wird schwierig, am Telefon habe ich nichts erfahren.«
    »Dann fahr doch bitte raus und mach dir vor Ort ein Bild«, sagte ich. Mario verzog das Gesicht. »Aber sicher dir erst ein Stück Kuchen.« Ich stellte das Tablett, das ich mitgebracht hatte, auf dem Aktenschrank ab, neben dem die beiden Praktikanten standen.
    »Erleben Sie im Alltag hier in Dresden Diskriminierungen?«, fragte Jonas Michaelis gerade Simone.
    Die schien belustigt über die Frage – vielleicht aber auch nur über die Politikerformulierung.
    »Natürlich. Was haben Sie denn gedacht?« Eigentlich duzten wir uns alle, bei dem neuen Praktikanten schienen die Kollegen allerdings ebenso wie ich vorerst beim Sie bleiben zu wollen. »Aber ich bin schon zehn Jahre hier, da lernt man, damit umzugehen.«
    Von den Übergriffen mitten in einer voll besetzten Straßenbahn, die die junge Frau aus dem Senegal vor einem Monat erleiden musste, wollte sie anscheinend nicht sprechen.
    »Aber das bedeutet doch eine ständige Belastung, stelle ich mir vor.«
    Simone zuckte die Achseln und nickte scheinbar gleichgültig. Ich musste daran denken, dass mir eine schwangere Freundin erzählt hatte, wie unangenehm es sei, dass wildfremde Menschen sich das Recht nahmen, ihren Bauch zu berühren.
    »Ich glaube, wir können alle einen Energieschub gebrauchen«, sagte ich in die Runde. »Danke, dass ihr unter diesen Bedingungen arbeitet.«
    Simone erwiderte meinen Blick mit einem offenen Lächeln. Hans, der die meiste Berufserfahrung hatte und stets so etwas wie ein Ruhepol in der Redaktion war, fragte trocken nach, welche Alternativen sie hätten. Mit einer Grimasse händigte er mir den Ausdruck eines Textes von einem freien Mitarbeiter aus, der offensichtlich vor Fehlern nur so strotzte. Ingeborg kam mit einem Zettel, auf dem sie die zu beantwortenden Anrufe notiert hatte. Ich seufzte leise und trug beides zusammen mit einem Stück Pflaumenkuchen ins Chefbüro.
    *
    Acht Uhr abends. Die Seiten waren fast fertig. Unser neuer Praktikant hatte einen unerwartet guten Text über Frühlingsgefühle im Altweibersommer verfasst und sich sogar noch beim Meldungen-Schreiben nützlich gemacht. Andy war es bei meinem letzten Anruf vor einer Stunde etwas besser gegangen. Ich mühte mich mit einem Kommentar zu der Neuanschaffung der Uniklinik ab. Von nebenan hörte ich, wie die Kollegen sich nach und nach auf den Nachhauseweg machten.
    Punkt, speichern, wegschicken. Das war’s. Nun noch die abendlichen Polizei-Pressemitteilungen durchsehen, eventuell eine Meldung auswechseln, und dann würde auch ich aufbrechen. Schauen, ob ich Andreas etwas Gutes tun konnte, eine Kleinigkeit essen und mich dann mit einem Glas Rotwein auf dem Sofa ausstrecken. Und wahrscheinlich sofort einschlafen …
    Ein Autodiebstahl in der Altstadt. Am helllichten Tag war ein in einer ruhigen Seitenstraße geparkter Audi A4 entwendet worden. Die Polizei bat um Hinweise aus der Bevölkerung. Also hob ich den Text noch schnell auf die Zwei, wo ich stattdessen die Ankündigung eines Vortrags über die Qualität des Dresdner Wassers löschte. Dann fuhr ich meinen Rechner herunter, dehnte und streckte mich und stand schwerfällig auf. Als ich die Schreibtischlampe ausschalten wollte, klingelte das Telefon.
    Zuerst ignorierte ich es. Der Anrufer hatte die Nummer des Sekretariats gewählt. Bestimmt jemand, der das Kinoprogramm nicht verstand oder etwas in der Art. Es war schon manchmal skurril, mit welchen Wünschen die Leser ihre Zeitung behelligten.
    Beim fünften Klingeln hob ich dann doch ab.
    »Der Ops sieht so komisch aus.« Eine ganz leise, piepsige Stimme.
    »Wer sieht komisch aus? Wer ist da überhaupt?«, fragte ich nach.
    »Der Ops. Hier ist der Leon Kattner.« Ein kleiner Junge.
    »Wo bist du denn, Leon?« Ich zwinkerte und rieb mir mit der rechten Hand die Augen.
    »Na, ich bin beim Ops. Und er liegt da und sieht mich so komisch an und sagt gar nichts.«
    »Bist du allein? Wo ist denn deine Mutter?«
    »Die kommt gleich wieder. Aber der Ops ist ja da.«
    Es dauerte eine ganze Weile, bis ich dem Jungen Namen und Adresse
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