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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung
Autoren: Rafael Seligmann
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Lacht. »Nicht schlecht. Aber um ganz ehrlich zu sein, der Frankenwein war eine Spur herber.« Ihre Augen glänzen wieder. Ich umarme sie. Wir küssen uns. Ich spüre erneut die warme Geborgenheit unseres Zusammenseins. Bald vereinigen wir uns, lassen schließlich erschöpft voneinander ab.
    »Mann o Mann, du bist ja ein Unersättlicher.«
    »Und du?«
    »Vielleicht auch. Wer weiß?«
    Wir streicheln uns. Allmählich werden ihre Bewegungen fahrig, ihr Atem regelmäßig. Schließlich schläft sie ein. Ihre Züge sind völlig entspannt. Die sanft nach unten gezogenen Mundwinkel erinnern an einen Säugling.
    Meine euphorische Nachmittagsstimmung ist vorbei. Das Bumsen hat nichts verändert. Und ich hatte mir davon eine Lösung all meiner Sorgen erhofft! Nur neue Scherereien. Esel wird nicht ruhen, ehe sie mein Verhältnis zu Suse kaputt gemacht hat. Auch an meiner Lage als Jude in Deutschland hat sich nichts geändert. Jeder kann ein Mörder gewesen sein. Sogar jeder Arzt. Der selbe Kerl, der mich heilt, hat vielleicht Esels Geschwister zu Tode gespritzt. Und ich verliebe mich möglicherweise in seine Tochter und zeuge Kinder mit ihr. Deutsche Kinder? Jüdische Kinder?
    Rubinstein, du hast wirklich Talent, dich zu jeder Zeit, an jedem Ort und mit jedem Menschen verrückt zu machen. Sogar jetzt, während du die erste Nacht mit einer Frau verbringst. Solange du hier bist, lebst du zwangsläufig unter Mördern. Da hilft auf die Dauer auch kein Hass. Weil du alle für etwas hassen müsstest, was nur wenige getan haben – mit der Duldung vieler.
    Mein Hass ist absurd. Das ist mir spätestens durch die Begegnung mit Frankfurter klar geworden. Wenn nicht einmal dieser Mann alle SS-Leute hasst, welches Recht habe ich Rotznase, ein ganzes Volk zu hassen? Wie kann ich jetzt überhaupt weiterhassen – ich liebe doch eine Deutsche! Aber irgendjemand aus ihrer Mischpoche 1 war bestimmt dabei, wenn nicht in der SS, dann in der SA oder in der Partei oder in irgendeinem anderen Kack. Gibt es keinen Ausweg? Ist man als Jude in Deutschland zum Wahnsinn verurteilt?

ALPTRAUM
    Dicht gedrängt stehen wir im Güterwagen. Alles ist grau und dreckig. Kinder heulen, Alte wimmern, Frauen und Männer streiten und keifen, andere glotzen apathisch vor sich hin. Die Gesichter der Männer sind unrasiert, schmutzig, erschöpft. Wenige Frauen nur trösten ihre weinenden und schreienden Kinder. Eine davon, im gestreiften grünroten Kopftuch, sieht Esel ähnlich, auch ihre Kinder – es ist Esels Familie. Meine Glieder verkrampfen sich. Wir werden in ein Vernichtungslager transportiert. Esel und Fred fehlen! Sie sind in Palästina. Peter und Mottl dagegen sind in meiner Nähe. Auch sie verdreckt, abgehärmt, apathisch. Mich schüttelt es vor Kälte und Angst. In der Ecke, in der einige Mütter mit ihren Kindern stehen, fällt mir eine groß gewachsene blonde Frau auf. Ihr Gesicht hat trotz der feuchten schreienden Angst, die den Wagen beherrscht, trotz Hunger und Strapazen seine Ruhe und Güte bewahrt – es ist Suse. Sie spielt mit Kindern, die meine Gesichtszüge tragen. Ich will mich zu ihr drängen. Da ertönt ein ohrenbetäubendes Knirschen, wir werden alle nach vorn gerissen. Mit einem Ruck kommt der Zug zum Stehen. Pfeifen. Hundegebell. Kommandos. Die breiten Holzschiebetüren werden zurückgerissen. Licht und Kälte fallen in denWagen. Die ausgezehrten Gesichter erscheinen gespenstisch.
    »Raustreten! Raus, sofort raus und in Viererreihen antreten!«, brüllt es aus Dutzenden Kehlen und aus unsichtbaren Lautsprechern. Ich will mich zu Suse und den Kindern umwenden, werde aber aus dem Wagen gestoßen. Ich falle zu Boden. Meine Brust schmerzt. Ich versuche mich zu erheben, da trampeln Füße über mich. Vergeblich bemühe ich mich, erneut aufzustehen. Ein Schäferhund an der Leine eines groß gewachsenen SS-Mannes mit steinernen Gesichtszügen schnappt mit fletschenden Zähnen nach mir. Ich krieche auf allen vieren davon. Endlich gelingt es mir, aufzustehen. Ich will mich umwenden, meine Familie suchen, werde aber wieder vorwärtsgestoßen. Meine Brust wird zusammengepresst, ich kann nur mit Mühe atmen. Gewiss habe ich mir einige Rippen gebrochen. Gerade jetzt – vor der Selektion. Erneut drehe ich mich um. Suse und die Kinder sind nirgends zu sehen. Irgendwo müssen sie doch stecken. Ich werde von der Menschenmasse weiter vorwärtsgeschoben. Erstmals wage ich, nach vorne zu blicken. Suse steht hinter einem Kordon von SS-Männern! Ich will
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