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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Ungerechtigkeit zu scheiden. Auf diese Weise mußte ich meinen Lieblingsplan aufgeben, und da ich es in meiner Entmuthigung nicht hatte durchsetzen können, daß man über mich verfügte, so entschloß ich mich auf die Einladung Mylord Marschalls hin zur Reise nach Berlin, während ich Therese den Winter über mit meinen Sachen und Büchern auf der Insel Saint-Pierre ließ und meine Papiere den Händen Du Peyrous anvertraute. Ich betrieb alles so eilig, daß ich schon am folgenden Morgen von der Insel abreiste und noch vor Mittag in Biel anlangte. Wenig hätte gefehlt, so hätte meine Reise durch einen Zwischenfall, den ich nicht übergehen darf, schon hier ihr Ende erreicht.
    Sobald sich das Gerücht verbreitete, daß ich den Befehl erhalten hatte, mein Asyl zu verlassen, empfing ich einen Strom von Besuchen aus der Nachbarschaft und namentlich von Bernern, die mit der verabscheuungswürdigsten Falschheit kamen, um mir den Hof zu machen, mich zu besänftigen und mir zu betheuern, man hätte sich den Augenblick der Ferien und der Unvollständigkeit des Senats zu Nutze gemacht, um diesen Befehl durchzusetzen und mir zuzustellen, über den nach ihrer Behauptung die »Zweihundert« entrüstet wären. Unter dieser Schaar von Tröstern erschienen auch einige aus der Stadt Biel, einer kleinen, rings von Berner Gebiet umgebenen Freistadt, und unter andern ein junger Mann, Namens Wildremet, dessen Familie den höchsten Rang einnahm und den Haupteinfluß in dieser kleinen Stadt besaß. Wildremet beschwor mich lebhaft im Namen seiner Mitbürger, mein Asyl unter ihnen zu nehmen, indem er mir die Versicherung gab, daß sie mich eifrig aufzunehmen wünschten, daß sie es sich zur Ehre anrechnen und eine Pflicht daraus machen würden, mich in ihrer Mitte die Verfolgungen vergessen zu lassen, die ich erlitten; daß ich bei ihnen keinen Einfluß der Berner zu befürchten hätte, daß Biel eine freie Stadt wäre, die sich von niemandem Gesetze vorschreiben ließe, und daß alle Bürger einstimmig entschlossen wären, auf kein gegen mich gerichtetes Gesuch zu hören.
    Als Wildremet sah, daß er mich nicht unschlüssig machte, ließ er sich von mehreren andren Personen unterstützen, sowohl aus Biel und Umgegend, wie auch aus Bern selbst und unter andern von dem nämlichen Kirchberger, der mich, wie bereits erwähnt, nach meinem Rückzuge in die Schweiz aufgesucht, und dem ich um seiner Talente und Grundsätze willen meine Theilnahme zugewandt hatte. Allein unerwarteter und deshalb mehr in das Gewicht fallend waren die freundlichen Aufforderungen des Herrn Barthès, eines französischen Gesandtschafts-Secretärs, der mich mit Wildremet besuchte, mir dringend zuredete, seiner Einladung nachzukommen, und mich durch den lebhaften und zärtlichen Antheil, den er an mir zu nehmen schien, in Erstaunen setzte. Ich kannte Herrn Barthès gar nicht; ich sah ihn jedoch in seine Worte die Wärme und den Eifer der Freundschaft legen und nahm wahr, daß es ihm wirklich am Herzen lag, mich zu der Uebersiedlung nach Biel zu überreden. Er sprach sich gegen mich in der belobigendsten Weise über diese Stadt und ihre Bewohner aus, mit denen er sich so innig verbunden zeigte, daß er sie in meiner Gegenwart mehrmals seine Patrone und Väter nannte.
    Dieser Schritt des Herrn Barthès machte mich in allen meinen bisherigen Vermuthungen irre. Ich hatte stets Herrn von Choiseul als den verborgenen Urheber aller Verfolgungen, die ich in der Schweiz erduldet, in Verdacht gehabt. Das Benehmen des französischen Residenten in Genf und des Gesandten in Solothurn bestärkten diesen Verdacht nur allzu sehr; ich bemerkte Frankreich im Geheimen auf alles Einfluß ausüben, was mir in Bern, in Genf, in Neufchâtel widerfuhr, und ich glaubte in Frankreich keinen andren mächtigen Feind zu besitzen als den Herzog von Choiseul [Fußnote: Es ist auffallend, daß Rousseau alle Verfolgungen, die er erduldet, lediglich dem Herzog von Choiseul zuschreibt, und daß er ihm nicht Voltaire beigesellt, dessen er in diesem ganzen Buche nicht einmal erwähnt.] allein. Was konnte ich demnach von dem Besuche des Herrn Barthès und von dem zärtlichen Antheile denken, den er an meinem Loose zu nehmen schien? Mein Unglück hatte diese meinem Herzen angeborene Vertrauensseligkeit noch nicht zerstört, und die Erfahrung mich noch nicht gelehrt, unter den Liebkosungen überall Fallstricke zu sehen. Voll Erstaunen suchte ich nach dem Grunde dieses Wohlwollens des Herrn Barthès; ich war
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