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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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dorthin, um Spuren von der Vermehrung der neuen Bewohner aufzusuchen.
    Zu diesen Vergnügungen trat noch eine hinzu, die die Erinnerung an das süße Leben in den Charmettes wieder in mir wach rief, und zu der mich die Jahreszeit ganz besonders einlud. Sie bestand in einer Reihe ländlicher Beschäftigungen, die das Einernten der Gemüse und des Obstes erforderte und die wir, Therese und ich, mit Freuden mit der Frau Steuererheberin und ihrer Familie theilten. Ich entsinne mich, daß mich ein Berner, Namens Kirchberger, bei seinem Besuche auf einem hohen Baume sitzend fand, mit einem Sacke um den Leib, der bereits so voller Aepfel war, daß ich mich gar nicht mehr rühren konnte. Ich war gar nicht unzufrieden mit dieser und einigen ähnlichen Begegnungen. Ich hoffte, daß die Berner, die so Zeugen gewesen waren, mit welchen Beschäftigungen ich meine Muße ausfüllte, nicht mehr daran denken würden, mich in meiner Ruhe zu stören, und mich in meiner Einsamkeit in Frieden lassen würden. Ich wäre hier lieber nach ihrem Willen als nach dem meinigen verbannt geblieben; ich hätte dadurch eine größere Sicherheit gewonnen, meine Ruhe nicht gestört zu sehen.
    Und nun bin ich wieder eines jener Geständnisse schuldig, bei denen ich im voraus von dem Unglauben der Leser überzeugt bin, die mich fortwährend nach sich selber beurtheilen, obgleich sie gezwungen worden sind, in dem ganzen Laufe meines Lebens tausend innere Regungen zu sehen, die den ihrigen nicht gleichen. Noch seltsamer ist dabei, daß sie mir zwar alle gute oder gleichgiltige Gefühle, die sie nicht haben, absprechen, dagegen mit der größten Bereitwilligkeit mir so böse anheften, daß sie gar nicht einmal fähig wären, sich Eingang in ein Menschenherz zu verschaffen. Sie finden es also ganz einfach, mich in Widerspruch mit der Natur zu setzen und aus mir ein Ungeheuer zu machen, wie gar keines existiren kann. Nichts Albernes scheint ihnen unglaublich, sobald es darauf ankommt, mich anzuschwärzen; nichts Außerordentliches scheint ihnen möglich, sobald es mir zur Ehre gereichen könnte.
    Was sie jedoch auch glauben oder sagen mögen, so werde ich deshalb nicht weniger fortfahren, getreulich auseinanderzusetzen, was Jean Jacques Rousseau war, that und dachte, ohne die Sonderbarkeiten seiner Gefühle und Gedanken zu erklären oder zu rechtfertigen, oder Forschungen darüber anzustellen, ob andere gedacht haben wie er. Ich gewann die Insel Saint-Pierre so lieb, und der Aufenthalt auf ihr sagte mir so zu, daß ich alle meine Wünsche auf diese Insel übertrug und sie in den einen zusammenfaßte, nie von ihr zu scheiden. Die Besuche, die ich in der Nachbarschaft abzustatten, die Ausflüge, die ich nach Neufchâtel, Biel, Yverdun und Nidau zu machen hatte, ermüdeten mich schon in dem blosen Gedanken daran. Ein fern von der Insel verlebter Tag schien mir eine Schmälerung meines Glückes; und ein Heraustreten aus dem Umfange dieses Sees kam mir wie das Heraustreten aus meinem Elemente vor. Dazu kam, daß mich die Erfahrung ängstlich gemacht hatte. Sobald nur irgend ein Gut mein Herz angenehm berührte, so befürchtete ich schon, es zu verlieren, und das sehnliche Verlangen, meine Tage auf dieser Insel zu beschließen, war von der Furcht unzertrennlich, daß ich gezwungen werden könnte, sie zu verlassen. Ich hatte die Gewohnheit angenommen, mich des Abends, vor allem wenn der See erregt war, an das Ufer zu setzen. Ich fühlte ein eigenthümliches Vergnügen, die Wellen zu meinen Füßen sich brechen zu sehen; ich erblickte in ihnen das Bild des Aufruhrs in der Welt und des Friedens meines Wohnorts, und ich versetzte mich bei diesem süßen Gedanken oft in eine solche Rührung, daß ich fühlte, wie mir die Thränen über die Wangen hinabrollten. Diese Ruhe, an der ich mich mit Leidenschaft erfreute, wurde nur durch die Beunruhigung gestört, sie zu verlieren; aber diese Beunruhigung ging bis zu dem Grade, mir die ganze Süßigkeit der Ruhe zu verkümmern. Ich fühlte meine Lage so bedroht, daß ich auf ihre Fortdauer nicht zu zählen wagte. »Ach,« sagte ich zu mir selbst, »wie gern würde ich die Freiheit, von hier fortzugehen, an der mir nichts gelegen ist, gegen die Gewißheit vertauschen, beständig hier bleiben zu können! Weshalb bin ich nicht, anstatt hier aus Gnaden geduldet zu werden, mit Gewalt hier zurückgehalten? Ich werde hier nur geduldet und kann jeden Augenblick von hier vertrieben werden; kann ich wohl hoffen, daß meine Verfolger,
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