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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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einzige, die in jeder Beziehung vorwurfsfrei dastand. Sie war der Lohn für die Gastfreundschaft des Herrn Dupin, welchem ihre Mutter sie nebst einer Stelle als Generalpächter und einem unermeßlichen Vermögen aus Dankbarkeit für die freundliche Aufnahme gab, die er ihr in seiner Provinz bereitet hatte. Als ich sie zum ersten Male sah, war sie noch eine der schönsten Frauen von Paris. Sie empfing mich an ihrem Putztisch. Ihre Arme waren nackt, ihre Haare aufgelöst, ihr Pudermantel in Unordnung. Ein solcher Empfang war mir völlig neu; mein armer Kopf hielt ihn nicht aus; ich werde verlegen, ich verliere die Fassung, kurz ich verliebe mich auf der Stelle in Frau Dupin.
    Meine Verlegenheit schien mir bei ihr nicht zu schaden; sie schenkte ihr keine Beachtung. Sie nahm das Buch und den Verfasser gütig auf, sprach mit mir von meinem Plane wie eine unterrichtete Person, sang, begleitete sich auf dem Klaviere, behielt mich zum Essen bei sich und ließ mich bei der Tafel an ihrer Seite sitzen. Es bedurfte nicht so viel, um mich närrisch zu machen; ich wurde ganz närrisch. Sie erlaubte mir, sie zu besuchen; ich machte Gebrauch, ja Mißbrauch von dieser Erlaubnis. Ich ging fast täglich hin und speiste wöchentlich zwei- oder dreimal bei ihr. Ich brannte vor Begierde zu reden und wagte es doch nie. Mehrere Gründe steigerten noch meine natürliche Schüchternheit. Der Zutritt bei einer reichen Familie war eine offene Thür zum Glück; ich wollte in meiner Lage nicht Gefahr laufen, sie mir zu verschließen. So liebenswürdig Frau Dupin auch war, so war sie trotzdem ernst und kalt; ich fand in ihrem Auftreten nichts, was entgegenkommend genug gewesen wäre, um mich zu ermuthigen. Ihr Haus, in damaliger Zeit so glänzend wie kein anderes in Paris, war der Sammelplatz einer Gesellschaft, die nur etwas weniger zahlreich hätte sein müssen, um in jeder Beziehung eine ausgewählte zu sein. Sie liebte es, alle Leute bei sich zu sehen, welche Glanz um sich verbreiteten: die Großen, die Gelehrten, die schönen Frauen. Man fand bei ihr nur Herzoge, Gesandte und Ritter des heiligen Geistordens. Die Frau Prinzessin von Rohan, die Frau Gräfin von Forcalquier, die Frau von Mirepoix, die Frau von Brignolé, Lady Hervey konnten für ihre Freundinnen gelten. Herr von Fontenelle, der Abbé von Saint-Pierre, der Abbé Sallier, Herr von Fourmont, Herr von Bernis, Herr von Buffon, Herr von Voltaire gehörten zu ihrem Gesellschaftskreise und zu ihren Tischgästen. Wenn ihr zurückhaltendes Benehmen die jungen Leute nicht in hohem Grade anzog, so war ihre Gesellschaft nur um so auserlesener und Ehrfurcht gebietender, und der arme Jean Jacques konnte sich nicht schmeicheln, inmitten von diesen allen besonders zu glänzen. Ich wagte also nicht zu reden, da ich aber nicht länger schweigen konnte, wagte ich zu schreiben. Sie bewahrte meinen Brief zwei Tage, ohne mit mir von ihm zu sprechen. Am dritten Tage gab sie ihn mir zurück, wobei sie mir in einem frostigen Tone, der mich erstarren machte, einige Worte der Ermahnung sagte. Ich wollte reden, aber das Wort erstarb mir auf den Lippen; meine plötzliche Leidenschaft erlosch mit der Hoffnung zugleich, und nach einer förmlichen Liebeserklärung fuhr ich fort, mit ihr wie sonst zu verkehren, ohne ihr weiter etwas zu sagen, nicht einmal mit den Augen.
    Ich hielt meine Thorheit für vergessen, allein ich täuschte mich. Herr von Francueil, der Sohn des Herrn Dupin und Stiefsohn seiner Gattin, stand mit ihr und mit mir ungefähr in gleichem Alter. Er hatte Geist, ein hübsches Aeußere und konnte bei Frauen auf Erhörung rechnen. Dem Gerüchte nach rechnete er bei seiner eigenen Stiefmutter darauf; vielleicht rührte dieses Gerede einzig und allein davon her, daß sie ihm eine sehr häßliche und sehr sanfte Frau gegeben hatte und mit allen beiden im besten Einvernehmen lebte. Herr von Francueil liebte und schützte die Talente. Uns führte die Musik zusammen, auf die er sich sehr gut verstand. Ich sah ihn oft und schloß mich ihm eng an. Plötzlich gab er mir zu verstehen, daß Frau Dupin meine Besuche zu häufig fände und mich bäte, sie auszusetzen. Diese unhöfliche Aufforderung hätte bei der Rückgabe meines Briefes an ihrer Stelle sein können; aber acht oder zehn Tage später kam sie, zumal keine neue Veranlassung vorhanden war, wie mir schien, völlig zur Unzeit. Dies rief eine um so eigentümlichere Lage hervor, weil ich Herrn und Frau von Francueil deshalb nicht weniger willkommen
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